Kreativer und schneller sein als die Verbrecher

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 232, März 2013

Von Max-Peter Heyne und Gabriele Leidloff

Für Dokumentarfilmer ist ein Online-Vertrieb heutzutage unerlässlich, um ein interessiertes Publikum zu erreichen – zumal die bisherigen TV-Partnerschaften aufzuweichen drohen. Das aber macht Arbeit.

Das Gesamtprogramm der diesjährigen Berlinale, insbesondere in den Sektionen Panorama, Forum und Perspektive Deutscher Film, führte wieder einmal deutlich vor Augen, dass die Dokumentar¬filme nicht nur thematisch interessanter, sondern auch stilistisch innovativer sind als viele Spiel¬filme. Beim Mixen von Gestaltungsmitteln, die früher als unvereinbar galten, haben sich der dänische Filmemacher Joshua Oppenheimer und seine Co-Regisseurin Christine Cynn am weitesten in heikle Grenzbereiche hinaus gewagt: In The Act Of Killing, Gewinner eines Panorama-Publikumspreises und des Preises der ökumenischen Jury, lassen die beiden früheren Auftragskiller der indonesischen Regierung deren Folter- und Tötungsmethoden an authentischen Orten oder im Studio nachinszenieren. Das Konzept der Scripted Reality-Fernsehserien wird also im Sinne eines investi¬gativen Journalismus zur Aufdeckung krimineller Aktionen genutzt: Nach dem indonesischen Militärputsch 1965 wurden innerhalb eines Jahres über eine Million vermeintlicher Kommunisten von willfährigen Paramilitärs und Kriminellen ermordet. Die Taten bleiben bis heute ungeahndet, die identifizierten Täter leben unbehelligt inmitten der sozial zerrissenen indonesischen Gesellschaft. Da die Männer auf ihren gesetzlosen Status bis heute stolz sind und keine Reue zeigen, ergeben sich bizarre, bisweilen über die Grenze des moralisch Erträglichen gehende Situationen, die im Dienste der aufklärerischen Absicht aber gerechtfertigt erscheinen.

Im Falle des Dokumentarfilms Alam Laysa Lana (A World Not Ours) ist die besondere Leistung die flüssig und doch abwechslungsreiche Kombination von aktuellen Aufnahmen und Videos aus den achtziger Jahren über das Leben im palästinensischen Flüchtlingslager Ain el-Helweh im Süd-Libanon, in welchem der im dänischen bzw. englischen Exil lebende Regisseur Mahdi Fleifel Teile seiner Kindheit verbracht hat. Fleifel gibt nicht nur Aufschluss über die schwierigen Lebensumstände, unter denen mehr als 70.000 Menschen auf einem Quadratkilometer seit über 60 Jahren zusammenleben müssen, sondern nutzt seine familiären und autobiografischen Bezüge, um die Folgen abstrakter Politik auf einer konkreten, persönlichen Ebene zu illustrieren und zugleich die eigene Rolle kritisch zu reflektieren. Der mit dem Friedensfilmpreis gewürdigte A World Not Ours war der formal gelungenste von mehreren Filmen auf der Berlinale, die den Nahostkonflikt aus arabischer Perspektive zeigen. Dass in Dokumentarfilmen die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik die Sehnsüchte mancher Zuschauer nach diplomatischer Ausgewogenheit nicht erfüllen, wird aufgrund der zunehmenden Zahl arabisch produzierter Filme in Zukunft sicher öfter der Fall sein.

Der Forumsbeitrag Hélio Oiticica verwebt das tagebuchartige Filmmaterial des 1980 verstorbenen, brasilianischen Künstlers Hélio Oiticica, der mit seltener Intelligenz über sein Werk und sein Leben reflektieren konnte, zu einem Porträt. Dem ekstatischen Rausch der vielschichtigen Filmsequenzen zu folgen, erfordert äußerste Konzentration des Zuschauers und bietet Einblicke in die New Yorker Kunstszene der siebziger Jahre. Die eigenwillige Collage erhielt sowohl den Caligari- als auch den Forumspreis der internationalen Filmkritikervereinigung, Fipresci. New York ist auch Schauplatz der nur mit 7.000 US-Dollar budgetierten Langzeitbetrachtung Gut Renovation der Regisseurin Su Friedrich. Sie dokumentiert den Ausverkauf des Stadtteils Williamsburg, einem Arbeiterviertel Brooklyns, das 2005 zum reinen Wohngebiet deklariert wurde und in dessen Folge die produzierenden Betriebe, Handwerker und Künstlerlofts von Bauspekulanten, die man mit Steuergeschenken angelockt hatte, verdrängt wurden. Ein aus subjektiver Perspektive gefilmte, zornige Bestandsauf¬nahme der Veränderung eines Stadtviertels und Lebensstils, zugleich eine Fallstudie zur galoppierenden Gentrifizierung in den Städten.

Regisseur Sebastian Mez machte mit seinem Film Metamorphosen in der Reihe Perspektive Deutsches Kino auf eine der radioaktiv verseuchtesten Landschaften Europas im russischen Südural aufmerksam, dessen gespenstische Atmosphäre Mez mit elegischen, eindringlichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen einfing. Interviews mit den letzten an diesem Unort freiwillig verbliebenen oder un¬glücklich gestrandeten Bewohnern runden das sehr bewusst und sorgfältig gestaltete, aufklärerische Dokument ab. „Was das Budget angeht, so musste ich mit ca. 8.000 Euro auskommen. Das ging nur, indem unendlich viel improvisiert wurde und bis auf die Assistentin in Russland niemand etwas verdient hat“, berichtet Regisseur Sebastian Mez.

So belegen die hier genannten Filme beispielhaft auch das krasse Missverhältnis zwischen Aufwand und Finanzierung, was oft zu jener prekären Lage führt, in der sich nach jüngsten Umfragen die meisten Dokumentarfilmer befinden. In Zeiten, in denen die Sendeplätze für Dokumentarisches europaweit weniger und die Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Sender an den Produktionskosten immer kleiner werden, sind Alternativen zur bisherigen Produktion und Refinanzierung gefragt. Bei Diskussionen auf der Berlinale haben deshalb viele Arthouse- und Dokumentarfilmproduzenten für einen offensiveren Umgang mit Online-Vertriebswegen plädiert: Auch für Content-Anbieter von Autorenfilmen müsse lauten, die Interessen des Zielpublikums „über alle zur Verfügung stehenden Wege zu bedienen“, mahnte Ross Fitzsimons von Curzon Artificial Eye, einer der führenden britischen Distributionsfirmen für ausländische und Arthouse-Filme beim „Industry Talk“ auf dem European Film Market. Die Londoner verfügen nicht nur über eigene Kinos, sondern seit einigen Monaten auch über eine eigene VOD-Plattform, curzoncinemas.com, auf der eine Vielzahl euro¬päischer Autorenfilme – neue wie ältere – abrufbar sind.

Fitzsimons nannte Beispiele wie Lars von Triers Melancholia, der auf Curzons VOD-Website ein großer Erfolg ist, aber auch Fatih Akins Auf der anderen Seite, den die Londoner über einen Deal mit Sky via Pay-TV ausgewertet haben. „Damit erreichen wir potentiell Millionen britischer Haus¬halte mit einem deutsch-türkischen Spielfilm, an dem die britischen Verleiher gar kein Interesse haben“, so Fitzsimons. Cay Wesnigk vom Vorstand der AG Dok, der schon seit über zehn Jahren das Portal onlinefilm.org betreibt, beschreibt die Problematik ähnlich: Da die Konsumenten heutzutage vielfach nach dem Motto, „Das will ich haben und zwar sofort“, also nach dem Lustprinzip agieren, sei entscheidend, „noch vor einer Fernsehausstrahlung mit legalen Angeboten im Netz präsent zu sein“ bzw. in Absprache mit großen Plattformen oder Content-Anbietern wie Google/ YouTube das illegale Herunterladen zu verhindern oder mindestens zu erschweren. Regisseur Simon Klose, dessen aufschlussreicher Dokumentarfilm TPB AWK – The Pirate Bay Away Fron Keyboard über die schwedischen Internetaktivisten und Gründer der Piratenbewegung im Panorama lief, hatte seinen Film in Absprache mit der Berlinale zur Weltpremiere auf seiner eigenen Website für eine Gebühr als Online-Streaming angeboten.

Um „schneller und kreativer zu sein als die Verbrecher“, also mit legalen Angeboten vorauszueilen, müsse inzwischen ein erheblicher Zeit- und Arbeitsaufwand einkalkuliert werden, so Wesnigk. Das umfasst nicht nur die Pflege des aktuellen Angebots, sondern auch die ständige Anpassung an neue Software und Apps der Technologiekonzerne, mit denen Content abgerufen werden kann – ohne Förderung ein dauerhafter finanzieller Kraftakt. Auch Cay Wesnigk bestätigt aktuelle Umfrageer¬gebnisse, dass die juristischen Aktionen gegen illegale Portale wie kino.to das Bewusstsein bei vielen Konsumenten geschärft habe, die seither verstärkt auch bei onlinefilm.org anklicken. Mit durchschnittlich 30 online verkauften Filmen pro Tag sei die Onlinefilm AG zwar noch nicht profitabel, aber die Umsatzkurve zeige deutlich nach oben.

Ähnlich wie die AG Dok äußerte sich jüngst auch die Produzentenallianz „ausgesprochen besorgt über eine Entwicklung, in der sich die öffentlich-rechtlichen Sender zunehmend nicht mehr als verlässlicher Partner für die deutsche Kinofilmproduktion erweisen“ – sprich: bei der Produktion und den Sendeplätzen deutscher Filme weiter sparen. Wesnigk: „Man spart an der Produktion weg und baut gleichzeitig die Plattformen aus. Das wäre noch zu vertreten, wenn die Kreativen davon auch etwas hätten. Aber stattdessen sollen wir noch mehr Rechte abtreten und damit ist der kostendeckende Anteil vieler Filmemacher bedroht. Wenn man schon marktgemäß argumentiert, bleibt festzuhalten, dass es sich nicht um einen echten Markt handelt, wenn eine Seite die Konditionen bestimmt.“

ARD-Programmdirektor Volker Herres drückt das so aus: Damit mehr Sendeplätze für deutsche Spielfilme eingerichtet würden, „müsste es eine erheblich größere Anzahl neuer deutscher Kinoproduktionen geben, die für ein Millionenpublikum im Fernsehen attraktiv sind.“ Das sind Reizwörter für unabhängige Filmemacher wie US-Underground-Ikone Beth B., die ihre Verantwortung darin sieht, sich Themen aus ungewohnter Perspektive zu widmen und „Bild und Sprache nicht zu glätten“ wie es in Fernsehproduktionen geschieht. So hat sie für ihren neuen Dokumentarfilm Exposed – Porträts amerikanischer Burlesqueperformer, die nicht den üblichen Schönheitsvorstellungen entsprechen – der besseren Verwertung zuliebe nicht entschärft oder mit Aufnahmen von Modelkörpern angereichert. Das war der Wunsch jener TV-Sender, mit denen sie für dokumentarische Formate in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet hat.

2015-01-15T15:47:12+02:0015. April 2013|

Die deutsche Filmkomödie: Ein Problem mit zwei Wahrheiten!

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 232, März 2013

Von Frank-Peter Lenze

Das Filmbüro NW versuchte im Dezember letzten Jahres mit dem Symposium „Nichts zu lachen – Glanz und Elend der deutschen Filmkomödie“ zu ergründen, warum die deutsche Filmkomödie im eigenen Land zwar immer als „das schwierigste Genre überhaupt“ bezeichnet und als „Königsdisziplin“ angesehen wird, sich aber auf der anderen Seite immer den Vorwurf der klamaukigen Oberflächlichkeit und einer deutschen Fehlinterpretation der französischen Definition des Begriffs ‚Leichtigkeit’ durch das deutsche Bildungsbürgertum gefallen lassen muss und in deutschen Redaktionsstuben nicht wirklich ernst genommen wird.

Es ist erst einmal sehr lobenswert, dass sich das immer schon etwas innovativere Filmbüro NW des Themas annimmt, dass nämlich die deutsche Filmkomödie gerade mal von der Maas bis an die Memel rezipierbar ist, aber schon von der Etsch bis an den Belt erste Verständnisprobleme auftauchen. Außerhalb dieser Grenzen ist die deutsche Filmkomödie dann in der Regel komplett unverständlich und stößt sogar auf Irritation und Unverständnis. So müssen deutsche Filmkomödien in der Regel im Ausland komplett scheitern. Die Organisatoren des Symposiums gingen der Frage nach, warum die deutsche Filmkomödie, neben dem immensen jüdischen Aderlass im Dritten Reich, immer noch diverse Defizite hat, die sie daran hindert, international verständlich sein zu können. Nach dem Vortrag „Make them laugh, everyone wants to laugh“ des Filmwissenschaftlers Daniel Kothenschulte diskutierten einige Filmemacher, Autoren und Produzenten mit dem Redakteur Michael André „Über falsche Political Correctness oder Wie subversiv darf eine Filmkomödie in Deutschland sein?“, warum Filmemacher in Deutschland jeweils ihre subversiven Projekte nicht an den Gremien vorbeibringen können und woran das liegen könne. Die fast gleiche Diskussion wiederholte sich dann noch einmal in dem Panel „Lustig oder sonst nichts oder Wie ernst muss eine gute Komödie sein“, bei einem Gespräch zwischen anderen Autoren und Filmemachern und dem Filmkritiker Andreas Kilb. Schließlich wurde noch in der Diskussion „Komödie und New Media oder: Ein zaghafter Anfang“ erörtert, ob neue Medien ggfs. größere Freiheiten bringen. Der Filmemacher Carsten Strauch berichtete von der relativen Narrenfreiheit bei seiner Serie Götter wie wir auf ZDF Kultur, die dann allerdings in der Woche nach dem Symposium von der relativen Humorlosigkeit der katholischen Kirche doch eingeholt wurde. Eine Lösung, woran die internationale Rückständigkeit der deutschen Filmkomödie und des deutschen Humors aber liegen könne, wurde nicht wirklich gefunden.

Dabei ist das Problem der deutschen Filmkomödie ein Problem mit zwei Wahrheiten! Zum einen ist eine gewisse Despektierlichkeit der deutschen Kultur gegenüber Komödien generell nicht wegzuleugnen. Komödien sind vielleicht die „Königsdisziplin“, gelten aber in der Regel als „leicht“ und für den Deutschen Filmpreis nicht nominierbar – selbst wenn sie den Schnitt so mancher regionaler deutscher Filmförderung im Alleingang retten. Auf der anderen Seite rechtfertigt die deutsche Filmkomödie dieses Vorurteil des deutschen Bildungsbürgertums in der Regel; sie ist, bis auf die Komödien von Juden (Alles auf Zucker) und Sauerländern (Goodbye Lenin, Der Pfandlaie). tatsächlich zumeist oberflächlich, klamaukig und relativ gehaltfrei. Ob das nun daran liegt, dass die zuständigen Redakteure alles Scharfe, Obszöne, Tabubrechende und Intellektuelle vorher herausgenommen haben oder weil sich der deutsche Witzbegriff, während „Sturm und Drang“, getrennt hat und nur noch der anspruchslose „Spaß“ übrig blieb und so nur solche Komödien übrig bleiben können, die dieser Fehlinterpretation eines Klischees entsprechen und sich so die Katze immer wieder in den Schwanz beißt, sei einmal dahingestellt. Sieht man sich jedoch deutsche Filmkomödien im Verhältnis zu Komödien der drei Humorweltreligionen, den jüdischen, britischen und ihrem unehelichen Nachkömmling, dem amerikanischen Humor, an, stellt man bei genauer Betrachtung tatsächlich große Unterschiede fest. Während britische, amerikanische und jüdisch geprägte Filmkomödien, nennen wir sie fortan international, zumeist über Empathie und Reflexion funktionieren und mit dem Komiker lachen, tendiert die deutsche Filmkomödie dazu, den Hauptcharakter aus urdeutscher Schadenfreude, weltexklusiv, in der Regel eher auszulachen. Sieht man sich jetzt genauer an, wodurch diese Humorarten sich in den jeweiligen Komödien verkörpern, so stellt man einen veritablen, manchmal feinen, aber immer existentiellen Unterschied fest. Dieser Unterschied drückt sich in dem jeweiligen Verhältnis von komischer Situation zu komischer Figur aus!

Während in einer deutschen Filmkomödie in der Regel die Story und die Situation nur leidlich komisch sind (zumeist da der Redakteur etwas Anspruchsvolles auch dem Genre nicht entsprechend fand!), wird die Figur zumeist aber so inszeniert, als gebe man ihr mit auf den Weg „Dies ist eine Komödie. Du musst komisch sein!“ Dies führt in der Regel dazu, dass komische Figuren in deutschen Filmkomödien sehr schnell sehr stark chargieren. Als ob immer mitgespielt werden müsse, „Ich bin eine komische Figur und habe ja witzig zu sein“. Dies führt dann in der Regel zu dem oft beschriebenen und international nicht rezipierbaren deutschen Klamauk. Der internationale Zuschauer fragt sich dabei nämlich zumeist, warum die komische Figur sich in deutschen Filmkomödien so albern verhält. Eine Art Identifikation oder zumindest eine Anteilnahme und Empathie sind mit einer so chargierenden Figur aber nur schwer möglich, da sie nicht wirklich menschlich erscheint oder zumindest nicht soweit, dass man sich mit ihr identifizieren möchte. So bleibt dem Zuschauer, wenn, nur der typisch deutsche Humor der Schadenfreude, um diese Figur auszulachen. Dieser typisch deutsche Humor ist aber, trotz oder gerade, wegen erschwerter Reflexion in diesem Land, welches Schadenfreude für völlig normal oder gar archetypisch („Schadenfreude ist die schönste Freude“) hält, in anderen Ländern schlicht nicht rezipierbar, da komplett inexistent.

Die internationale Filmkomödie funktioniert in der Regel grundlegend anders, denn hier ist die Situation stets größer als der Charakter. Während die internationale Komödie zumeist eine originelle Story und Ausgangssituation bietet, die die Figur in eine ungewohnte, überlebensgroße Not bringt, versucht die Figur in dieser Situation immer die Kontrolle zu behalten und zu überleben. Man denke an John Cleese in Ein Fisch namens Wanda, wenn er bei seinem Schäferstündchen mit Jamie Lee Curtis von einer Familie überrascht wird. John Cleese spielt diese Situation jedoch völlig ernst durch und die Komik entsteht so durch die Wechselwirkung von eskalierender Situation und ernst zu bleibend versuchender Figur und nicht durch völlig unmotiviertes, total überzogenes Dauerchargieren. Sieht man sich Chaplin, Keaton, Laurel & Hardy, Monty Python oder Mr. Bean an sieht man sich bestätigt. Selbst wenn die Figur bei Mr. Bean etwas überspielt, tut sie das nur im Charakter der Figur, und dennoch bleibt die Idee der Geschichte und die Situation immer größer als die Figur. Die Figur bleibt und der Schauspieler spielt, wenn auch in immer größere Verzweiflung geratend, in der Regel aber ganz ernst durch. Die Crux ist dabei, dass die Figur dadurch verstehbar, nachvollziehbar und dadurch menschlich bleibt. Der Zuschauer kann die Situation reflektieren und durch einen einfachen wie genialen Inszenierungstrick mit seinem eigenen Leben abgleichen. In diesem Falle lacht man dann mit der Figur und schließlich über sich selbst, was der internationalen Haltung von Humor entspricht. Der Hauptgrund des Siegeszugs und der internationalen Verstehbarkeit von internationalem Humor. Ist in der deutschen Filmkomödie die Geschichte mal gehaltvoller und der Humor scheint anspruchsvoller, so ist der Film meistens dann nicht wirklich witzig. Falls es überhaupt einmal eine Komödie ohne anführenden Komikerstereotyp gibt. Denn funktioniert internationaler Humor auch in der Regel ohne stereotype Komikerfigur, so sind bei uns in der Regel Otto, Didi oder Hausmeister Krause (für den Verkauf) einer Komödie von Nöten. Robin Williams kann stattdessen aber von Garp zu Mrs. Doubtfire springen und wechselt daher auch ohne Probleme zu unkomischen Rollen wie One Hour Photo, ohne vorher in eine Schublade gesteckt worden zu sein, mit denen wir Deutsche unserem Leben gerne Halt geben.

Auf der anderen Seite ist es nach eigener Erfahrung fast unmöglich, in Deutschland eine anspruchsvolle, schwarze, selbstironische Komödie zu drehen, da ein solches Drehbuch gern sehr schnell ein Opfer der mannigfaltigen deutschen Fehlinterpretationen wird, „das müsse ja anspruchsloser Klamauk sein, da es nichts anderes gibt“ (oder geben darf)! Denn wenn man in Deutschland z.B. die Kurzfilm-Komödie Der Pfandlaie (2008) inszeniert, indem die Figuren weitgehend ernst bleiben, während die Situation eskaliert, trifft dieser Film gerne auf mannigfaltige Fehlinterpretationen der Produzenten, das sei nicht witzig, da die Figuren nicht witzig seien! – ergo nicht chargieren. Der französische Filmkritiker J.Takeshi jedoch schreibt: „Normalerweise ist deutscher Humor nicht sehr attraktiv. In der Regel hat er einen schlechten Geschmack. Der Pfandlaie ist hingegen ziemlich köstlich!“ Wenn der Film dann zudem beim internationalen Publikum immer komplett abräumt und sich so beim Produzenten erste Irritationen einstellen, hofft man doch, dass die Erfahrung sie klug gemacht hätte. Wenn aber dann nach fast 20 Festivals in den USA immer noch keine Reflexion einsetzt, wundert man sich auch nicht mehr, wenn man einer Redakteurin einen Langfilm mit internationalem Humor anbietet, sie diesen zwar erkennt, aber behauptet, es habe viel bessere Stoffe gegeben. Wenn man aber dann auf dem Symposium „Nichts zu lachen“ über ebendiese Redakteurin gesagt bekommt, sie habe in einem vorherigen Symposium behauptet, ihr würden schlicht keine Komödien angeboten, dann bleibt man selbst irritiert zurück und erfährt wieder mal, dass das Problem der deutschen Filmkomödie wohl wirklich eines mit zwei Wahrheiten ist.

2021-05-07T18:04:21+02:0015. März 2013|

Die Digitalisierung und die Folgen für die kommunalen Kinos

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 232, März 2013

Von Georg Immich

In der Kinobranche findet zur zeit mit der Digitalisierung die größte Umwälzung seit Einführung des Tonfilms statt. Da dank der inzwischen umgesetzten FFA-Förderung und den zusätzlichen VPF-Zahlungen durch die Verleiher ein Großteil der kommerziellen Kinos auf Digital Cinema umgestellt hat, werden in 2013 wohl erste Verleiher damit aufhören 35mm-Kopien ihrer Neustarts zu erstellen und auszuliefern. Diese Entwicklung hat natürlich auch Auswirkungen auf jene Kinos, die sich nicht aus kommerziellen, sondern kulturellen Gründen mit dem Filmabspiel befassen. Da bei ihnen die finanziellen Mittel in der Regel recht knapp bemessen sind, ist der Digitalisierungsgrad bei kommu-nalen Kinos und Filminitiativen eher gering.

Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Zuspitzung musste der Bundesverband für kommunale Filmarbeit auf seinem jährlichen Bundeskongress neue Antworten für das seit langem diskutierte Thema bieten. Der Ansatz der Veranstalter und der beteiligten Mitgliedskinos war ambivalent. Einerseits versuchte man die verstreuten Kräfte zu bündeln, in dem sich die Kinos und Initiativen mit bisher nicht richtig bekannten Archiven vernetzen und zukünftig deren beträchtliche Ressourcen an 35mm-Kopien nutzen können. Andererseits wollte man auch andere Wege zur Digitalisierung jenseits der von den Hollywood-Studios initiierten DCI-Norm aufzeigen. Diese Aufgabe übernahm ein Team der Cinemathek Leipzig, dass in Dortmund sein A-Cinema genanntes System zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellte. Während aktuelle Digital Cinema Anlagen, die der DCI-Norm entsprechen, mindestens 60.000 Euro kosten, müsste man für das System aus Leipzig je nach Projektorstandard nur zwischen 10.000 bis 17.000 Euro ausgeben. Dies ist auch nochmals günstiger als die ebenfalls nicht DCI-zertifizierten Anlagen der Firma ROPA, die sich bei circa 20.000 Euro bewegen.

Der ohne einen Secure Media Box konstruierte A-Cinema Kinoserver kann zwar die DCI-Norm nicht erfüllen, aber mit der von Stephan Wein selber programmierten Software trotzdem verschlüs¬selte DCPs abspielen, da sein Mediaplayer zu Teilen auf dem EasyDCP-Player des Fraunhofer Institutes in Erlangen basiert. Die drei Tüftler der Cinemathek Leipzig wollen damit eine Alternative für kleine, finanzschwache Kinos bieten, die sich nicht nur keine reguläre DCI-Anlage leisten können, sondern auch die Kriterien für eine FFA-Förderung nicht erfüllen. Denn dazu muss ein Kino mehr als 8.000 Zuschauer pro Jahr und einen Nettoumsatz von mehr als 40.000 Euro vorweisen.

Durch diese Kriterien fallen vor allem kleine Kinos und jene Filmtheater mit einem kulturellen Programmansatz durch das Raster. Fabian Schauren, Geschäftsführer des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit, berichtet, dass von den 100 Mitgliedskinos seines Verbandes gut die Hälfte nicht die Kriterien der FFA erfüllen können. Zusammen mit dem Aus für kleine kommerzielle Kinos werde dies zu einem massiven Kinosterben in der Fläche führen. „Schon heute gibt es in Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, und in Ostdeutschland Regionen, in denen man im Umkreis von 50 Kilometern kein Kino findet. Wenn man keine anderen Lösungen als den DCI-Standard einführt, werden wir bald große weiße Flächen in der Kinolandschaft bekommen.“ Sven Wörner von der Cinemathek Leipzig schildert, dass sich bei ihm sogar kommerzielle Kinobetreiber gemeldet haben und Interesse an A-Cinema bekundeten. „Zum Beispiel ein Ein-Mann-Kino aus dem Allgäu, das nicht täglich Vorstellungen hat. Der kann sich schon den Eigenanteil bei der FFA-Förderung nicht leisten.“ Darüber hinaus wurde aus der FFA nahestehenden Kreisen bekannt, dass die Mittel für die Digitalisierung zur Neige gehen, und wer bis jetzt keinen Antrag eingereicht hat, wird wohl auch nicht mehr zum Zuge kommen.

Kernstück der in Dortmund präsentierten A-Cinema Anlage ist ein 3.000 Euro teurer Rechner mit Quad-Core-Prozessor und zwei Grafikkarten – eine für die Entschlüsselung und Dekodierung, die andere für die Ausgabe des Bildes an Kontrollmonitor und Projektor. Bei der Vorführung mit einem kurzen Testfilm konnte das System qualitativ überzeugen, obwohl es noch nicht die volle 12-bit Farbtiefe verarbeiten kann. Im Vergleich zu einer Projektion direkt von einer DCI-Maschine zeigte sich nur ein ganz leichtes Kriseln in den Bildern. Dies führte Stephan Wein darauf zurück, dass man in Dortmund für die Bühnenpräsentation eine HDMI-Funkstrecke zwischen Rechner und DCI-Projektor einsetzte. „Bei einem Anschluss per hochwertigem HDMI-Kabel gibt es da keine Unterschiede,“ versicherte der freie Softwareentwickler und Cineast Wein.

Interessiert an dem System zeigte sich unter anderem Gerald Stiller von der Kooperative Kino im Sprengel aus Hannover. Er schildert, dass ihr Kino die FFA-Kriterien nicht erfüllt und keine Förde¬rung erhalten wird. „Bei unserer Leinwandgröße von circa 6×4 Metern reicht auch eine Auflösung unterhalb von 2K,“ berichtet Stiller. „Wir brauchen kein starres, genau festgelegtes Paket wie es der DCI-Standard vorgibt, sondern ein frei konfigurierbares System wie bei A-Cinema oder ROPA.“ Mit dem Verleiher von Repertoirefilmen, Europe’s Finest fand sich auch ein Verleih, der die A-Cinema Initiative unterstützen will. „Zunächst bestanden unsere Lizenzgeber auf verschlüsselten DCPs. Dies hat sich aber gewandelt, weil die Rechteinhaber sie inzwischen nach der Auswertung gerne archivieren,“ erklärte Elke Bludau, die Disponentin dieses rein digitalen Filmverleihs. Spontan versprach sie den Leipzigern die Überlassung von kompletten DCPs für weitere ausführliche Tests.

Bei der Diskussion des Projektes stellte sich außerdem heraus, dass die fehlende DCI-Konformität nicht unbedingt ein Hindernis für die Programmgestaltung sein muss. Da kommunale Kinos keine Erstaufführer sind, erhalten sie Terminbestätigungen für neue Filme erst Monate nach dem deut¬schen Kinostart. Wie verschiedene bereits digitalisierte Mitglieder berichten, sind spätestens nach einem halben Jahr bei den Verleihern keine digitalen Kopien mehr verfügbar, weil die Festplatten entweder mit aktuelleren Filmen überspielt oder vernichtet wurden. Die Disponenten der Verleiher geben den kommunalen Kinos dann zwar ohne weiteres die Aufführungsrechte, für den Film selber verweisen sie aber auf die im Handel erhältliche Blu Ray. Somit bringen DCI zertifizierte Systeme für kleinere Kinos mit kultureller Ausrichtung nicht unbedingt einen Vorteil oder sind unabdingbar.

Der eigentliche Schwerpunkt des Kongresses in Dortmund lag allerdings beim klassischen 16- und 35mm-Film. Während der knapp dreitägigen Veranstaltung konnte sich mehr als ein halbes Dutzend weniger bekannter Archive mit jeweils einem ein bis zweistündigen Filmprogramm den Praktikern der kommunalen Filmarbeit präsentieren. Das Spektrum reichte von klassischen Ausprägungen wie bei den Archiven der Internationalen Kurzfilmtage oder des WDRs, bis hin zu einzelnen Kinos, die sich eine Filmsammlung zugelegt haben. Dahinter stehen dann teilweise beträchtliche Bestände. So besitzt das Filmforum Duisburg immerhin 900 Kopien, die Spitzenstellung nahm aber das Werkstatt-Kino aus München ein, mit einer 3.000 Titel zählenden Sammlung, davon 2.500 in Spielfilmlänge. Kai Gottlob vom filmforum Duisburg konnte sogar zeigen, wie man mit Filmen über die eigene Stadtgeschichte ganz neue Zuschauerkreise für ein kommunales Kino erschließen kann, plus in diesem Fall sogar Lizenzeinnahmen von Fernsehsendern erhält. Zum Abschluss verabschiedete man noch eine Resolution, in der man fordert, dass die zukünftige EU-Regelung für ‚verwaiste Werke‘ – also Bücher oder Filme, von denen der aktuelle Rechteinhaber nicht bekannt ist – nicht nur für Bibliotheken und Universitäten gelten sollte, sondern auch für die Arbeit von kommunalen Kinos sehr wichtig ist und auf diese Anwender ausgeweitet werden sollte.

2015-01-15T23:39:44+02:0015. Februar 2013|

Mehr Originalstoffe für Kinderfilme

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 231, Februar 2013

Von Katharina Dockhorn

Devid Striesow ist begeistert. Endlich wird die wahre Geschichte des legendären 9. November 1989 erzählt, und das aus der Sicht von Kindern aus der DDR. Für die phantasievolle Geschichte von Sputnik, dem Regiedebüt von Markus Dittrich, stand der Wahlberliner in der Altmark neben Yvonne Catterfeld, Andreas Schmidt und einer Reihe talentierter Nachwuchsdarsteller vor der Kamera. Die MDM fördert die europäische Koproduktion mit 600.000 Euro, der MDR ist als Sender dabei. Der Film ist eines der ersten Zeichen für die Wiederbelebung eines Genres, das auf heimischen Leinwänden und auf dem Bildschirm am Aussterben ist. Kaum ein Produzent wagt sich noch an die Realisierung von Original-Stoffen für Kinder. Denn Filme, die nicht auf erfolgreichen Büchern beruhen, haben es schwer ihr Publikum zu finden – egal ob sie abenteuerlich an den Alltag der Kinder anknüpfen wie Friedrich und der verzauberte Einbrecher oder Der Dolch des Batu Khan oder wie Wintertochter und Blindgänger einfühlsame Dramen erzählen. An der Kinokasse brechen sie oft ein, auch weil sie wie alle Kinderfilme kaum Beachtung in der Kritik finden, wie Uschi Reich, Produzentin von Adaptionen wie Bibi Blocksberg, beobachtet hat.

Der Verband der Deutschen Filmkritik und die FIPRESCI hatten das Manko bereits erkannt und wollen die Aufmerksamkeit für das Genre schärfen. Beim Filmfestival „Schlingel“ in Chemnitz wird 2013 erstmals eine internationale Jury aus Filmjournalisten den besten Film auszeichnen. Der Verband verleiht für 2012 erstmals auch einen Preis für den Besten Kinderfilm des Jahres. Dem wollen auch die Bayern folgen, Hans-Georg Stockinger, Vorsitzender der CSU-Filmkommission, brachte einen Preis für den Besten Kinderfilm im Rahmen der Verleihung der Bayerischen Filmpreise ins Gespräch. Und die Drehbuchautoren wünschen sich eine eigene Lola für Original-Bücher für Kinder bei der Verleihung der Deutschen Drehbuchpreise durch das BKM.

Denn bei den Büchern klafft die erste Lücke. Von 31 bei der FFA in den Jahren 2009 bis 2011 geförderten Kinderfilmstoffen beruhten nur vier auf originären Ideen. Das Fehlen solcher attraktiver Filmstoffe spiegelt sich dann im Wettbewerbsprogramm der Berlinale wieder. Seit Jahren fehlen die passenden Angebote made in Germany für das Generationen-Programm. Und auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen setze lieber auf die x-te Verfilmung eines Märchens, statt Filme über das Hier und Heute zu drehen, wie Drehbuchautorin Katharina Reschke kritisch im Rahmen einer Diskussion zum Kinderfilm in Deutschland anmerkte, zu der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geladen hatte.

„Wer heute keine Originalstoffe für Kinder produziert und fördert, wird Erwachsene später nicht ins Arthouse-Kino locken können“, schätzt Reschke ein. Nur Johannes Klingsporn, VDF, widersprach der Sorge. Originalstoffe seien kein Wert an sich. Die an der Kinokasse erfolgreichen Kinderfilme hätten auch ein besonders hohes Werbebudget, das sei für Originalstoffe nicht zu generieren. Die mangelhafte finanzielle Unterfütterung des Marketings für diese Filme übersieht auch Karola Wille, Intendantin des MDR, nicht. Nur will sie sich damit nicht zufrieden geben. Die Juristin, deren Lieblingsfilm aus Kindertagen Alfons Zitterbacke ist, hat eine breite gesellschaftliche Diskussion angeschoben. „Ausgangspunkt war eine Podiumsdiskussion beim Medientreffen Mitteldeutschland. Damals habe ich gelernt, dass die Originalstoffe für Kinder in den vergangenen Jahren immer weniger wurden, sowohl im Kino als auch im Fernsehen. Dieses Genre gehört jedoch zu unserem kulturellen Reichtum.“

Wille reagierte damit auf eine Debatte, die der KiKa angestoßen hatte. „Wir sind ins Risiko gegangen, weil diese Filme unverzichtbarer Bestandteil unseres Programms sein sollte“, denkt Sender-Chef Steffen Kottkamp. „Insgeheim fürchteten wird, dass wir über ein Nischen-Programm reden. Prof. Wille hat die Brisanz erkannt.“ Die Intendantin holte Experten wie Oliver Castendyjk, der gemeinsam mit Juliane Müller die Kino- und Fernsehfilmproduktion für Kinder in den Jahren 2005 bis 2010 ausgewertet hat, Förderer, Sender, Produzenten mehrmals an einen Tisch, zuletzt am Oktober 2012 in Erfurt, Sitz des Kika im Herzen des Kindermedienlands Thüringen. Die Strategie ist dabei mehrgleisig. Zum einen werden die Erfahrungen anderer Länder ausgewertet, in denen die Kinderfilmproduktion blüht, was zum Beispiel in Dänemark zu einer großen Beliebtheit der eigenen Produktion bei den Erwachsenen führt. In den meisten skandinavischen Ländern regeln Quoten den Anteil der produzierten Kinderfilme. Für Wille sind sie nur das letzte Mittel, wenn nichts anderes geht. Die deutsche Politik hat bereits erste Weichenstellungen in diese Richtung in Aussicht gestellt.

Wolfgang Björnsen, MdB CDU, verspricht, dass die Unterstützung von Kinderfilmen größeres Gewicht im Filmförderungsgesetz erhalten wird – der von der Bundesregierung am 7. November beschlossene Gesetzentwurf löst dies aber nicht ein. Hier muss noch nachgebessert werden. Auch die Länder ziehen mit, in Erfurt saßen beim Startschuss der Initiative für den besonderen Kinderfilm neben Manfred Schmidt von der MDM, wo der Kinderfilm schon immer besonders gepflegt wurde, auch Klaus Schäfer (FFF Bayern) und Vertreter der Film- und Medien-Stiftung NRW mit am Tisch. Sie wollen die provokante Einschätzung von Katharina Reschke widerlegen, dass es attraktiver sei mit Tom Tykwer als mit einem popligen Kinder-Cast auf dem Foto zu sein.

Zweiter Baustein der Initiative ist eine Änderung im Fernsehprogramm, von dem der Filmgeschmack der Kinder schon früh mit geprägt werde. Hier dominieren bei den Privaten amerikanische Serien, aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern fehlen attraktive deutsche Produkte, insbesondere Zeichentrickserien, da die Produktion zu teuer sei, schätzt Oliver Castendejk ein. Der Kika beginnt gegenzusteuern, künftig werden mehr Sendeplätze mit Originalstoffen bestückt werden. Sender-Chef Steffen Kottkamp widerspricht der These, dass es keine Bücher gäbe. Die seien sogar so zahlreich, dass nicht alle produziert werden können. „Es ist aber schwierig, sie in den Redaktionen durchzusetzen.“ Davon weiß Bernd Sahling ein Lied zu singen. Seinen neuen Film hat der Gewinner des Deutschen Filmpreises seit 2001 entwickelt, gefördert wurde der Dreh von der MDM, dem BKM und vom Kuratorium Junger Deutscher Film. Zwei Jahre hat er mit dem MDR um die Finanzierung gerungen, anschließend bei allen Sendern die Klinken vergeblich geputzt. Der rbb lehnt nach einem Jahr Verhandlungen ab. Das Medienbaord Berlin-Brandenburg nicht wegen mangelnder Qualität, sondern wegen des fehlenden Senders. Der Produzent musste das Budget halbieren, nur noch 40 Drehtage waren bezahlbar, was bei einem Dreh mit Kindern zu Problemen mit der eingeschränkten Arbeitszeit führt. „Das Projekt war nur durch die Selbstausbeutung der Beteiligten möglich, die ihre Honorare zurück gestellt haben,“ bringt Sahling die Misere auf den Punkt.

Hier setzt Wille an. Sie hat Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi finanzielle Mittel eingeräumt, um künftig Originalstoffe wie Sputnik zu produzieren. Und auch der Kika, der seinen Wirtschaftsplan selbst aufstellt, wird den Etat für diese fiktionalen Projekte aufstocken. „Wir wollen den Produzenten Mut machen, solche Stoffe zu entwickeln, für die wir im Moment die inhaltlichen Kriterien aufstellen,“ kündigt Kottkamp an. „Hier scheint sich ein Umdenken anzubahnen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn weitere öffentlich-rechtliche TV-Sender sich dieser Initiative anschließen würden,“ denkt Manfred Schmidt, MDM. „In der Zukunft wollen wir die besten Autoren und Regisseure für solche Projekte zu gewinnen. Das halte ich für möglich, wenn sich die Realisierungschancen für Kinderfilme verbessern.

Welche neuen Wege bei der Entwicklung und Vermarktung des besonderen Kinderfilms gegangen werden können, muss mit den verschiedenen Beteiligten diskutiert werden. Möglicherweise könnte man mit einer Dachmarke arbeiten.“ Denn als letztes Nadelöhr bleibt das Kino, wo es der Kinderfilm durch die flächendeckende Etablierung von Ganztagsschulen heue schwerer im Kino hat als vor einigen Jahren. Viele Initiativen bemühen sich, Kids und Teenager an die Filmkunst heranzuführen. Kaum ein Kino gewinnt einen Programmpreis ohne Angebote für Kids. Bewährte Projekte wie die Schulkinowochen oder das Spatzenkino sowie das Programm „Kinderfilm des Monats“ in Berlin stehen dabei neben neuen Programmen wie die Kinderfilminitiative „Kids ins Kino“ der AG Kino, die vom Ministerium Anette Schavans im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ gefördert wird. Das über vier Jahre laufende Projekt, bei dem das Institut für Kino- und Filmkultur als Partner gewonnen wurde, soll Kinder wieder in den Erlebnisraum Kino zurückholen. Gemeinsam mit Partnern aus der Region oder sozialen Netzwerken können die Betreiber Programme für die Altersgruppe von 5 bis 13 zusammenstellen, die über das reine Filmabspiel hinausgehen. Die Erfahrungen werden von der AG Kino ausgewertet und gebündelt.

In die Initiative wird „KidsFilm“ eingebettet, ein spezielles Angebot für Kinobetreiber mit ausgewählten Kinderfilmen, das erstmals beim Filmfest München gezeigt wurde. Seitdem war die vierte Kinderfilm-Reihe der AG-Kino in mehr als 20 Kinos zu sehen, unter anderem in Bonn, Starnberg und Dresden. Doch im aktuellen Kinoprogramm haben es diese Filme schwer, was nicht zuletzt den fehlenden Mitteln für Marketing und Werbung im Verleih geschuldet ist. Auch wenn Manfred Schmidt sagt: „Das ist einer der Förderschwerpunkte der MDM, nicht nur, aber auch mit Blick auf das Kindermedienland Thüringen. Das betrifft genau so die Verleihförderung von Kinderfilmen. Hier ist Kontinuität geplant.“

Doch auch hier ist Karola Wille pragmatisch. Wenn ARD und ZDF viel Geld in die Produktion dieser Filme stecken, sollten sie auch beim Kinostart für sie im Programm aufmerksam machen und für sie werben – mit oder ohne Medialeistungen. Der analytische Blick der neuen MDR-Intendantin tut der deutschen Filmbranche gut. Sie will Probleme angehen und lösen, holt die richtigen Partner an einen Tisch und löst jahrelangen Stillstand auf. Mit dieser Herangehensweise kann sie manch verkrustete Struktur in der Filmszene auflockern.

2021-05-07T18:04:29+02:0015. Februar 2013|

Wer hat Angst vor Serientätern

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 230, Dezember 2012/Januar 2013

Von Michael Friederici

Unsereiner ist ja groß geworden mit dem guten Gewissen dass Kino klug macht und Fernsehen doof ist. Bis auf die Sportschau, Dominik Graf, Harald Schmidt und einige Tatorte natürlich. Dann war da noch das nervige Zwischenspiel mit Video und CD – und jetzt, da sich alle endgültig auf youtube und bei facebook zu Tode amüsieren, soll auf einmal Schluss mit den ehernen Gewissheiten sein. Ja, selbst die Fundamentalisten unter den Gegnern des US-Bilder-Imperialismus konstatieren, dass amerikanische TV-Serien an große Literatur gemahnen und sogar so etwas wie Konzentration verlangen und kein Bügeln nebenbei. Nur noch bildungsferne Sofakartoffeln gehen ins Popcorn-Kino, finden 3D-Spektakel, Fantasy und Videospiel-Verfilmungen eine Augenweide und glotzen auf die Liegestütze der Bohlens und Lanzens. Der coole Avantgardist fühlt sich bei Mad Men, den Sopranos oder The Wire zuhause. Als lässiger Serienjunkie fährt er ein Designer-Bike, hat als Austausch-schüler in Maine Englisch gelernt, spielt mit einem schnieken Apple-pod – und zieht sich seinen US-Serien-Stoff spätestens seit 24 und Sex in the City entweder von der DVD oder aus dem Netz. Selbst Intellektuelle haben auf einmal wieder Tele-Visionen und die knurrigsten Kultur-Spaßbremsen widmen sich in langen Feuilleton-Elogen mit einem Enthusiasmus Six Feet Under , The News Room, Game of Thrones, West-Wing… der früher einmal für Werner Herzog oder große Literatur reserviert war. Christoph Dreher beschrieb die „broadcast literature“ als „komplexe und profunde Werke, die zum ersten Mal in der Filmgeschichte so etwas wie ein Äquivalent zu großen epischen Romanen der Weltliteratur darstellen“ (Spex 07/2007). – Barbara Schweizerhof formulierte schon vor zwei Jahren, dass The Wire „weniger eine Polizeiserie als vielmehr der Roman einer Stadt“ ist (Gesendete Literatur, in: Der Freitag, 06.08.2010).

Nachdem jahrelang Heerscharen von Script-Gurus und ihren Propheten ihr Credo vom Plotten und Pitchen so erfolgreich verkauften, dass inzwischen jede Smartphonemessage nicht mehr ohne Turningpoints auskommt, dürfen jetzt auch wieder Menschen jenseits des werberelevanten Alters ungestraft davon sprechen, dass Episoden wie die Kapitel eines Buches funktionieren… Ja, man hört sogar die Signale, dass die neue Welle im alten Europa angekommen ist:: Die entsprechenden Workshop-, Trainingscamp- und Sommerlager-Angebote häufen sich. Das Erich-Pommer-Institut führte im European TV Drama Series Lab in amerikanische Kreativkonzepte ein, beim Hamburger Filmfest war Frank Spotnitz zu Gast, ein US-Autor/Produzent, der jetzt in London sitzt… (bekannt als Executive Producer and Head Writer der The X-Files) – und mittlerweile raunen selbst ergraute arthouse-Zausel unfallfrei vom Kraftwerk „Writers Room“ und „Show Runner“ – und stellen sich die DVD-Gesamtausgabe der Sopranos neben Benjamins Gesammelte Schriften. Schließlich schreiben die Autoren dabei im – darf man das wieder sagen? – „Kollektiv“ – und Regisseure genießen allenfalls noch den Status eines Rädchens im Getriebe. Nicht sie, Autoren sind es, die endlich am Steuer stehen, – der ShowRunner, um genau zu sein. Diese hybride Figur sollte beides vereinen, den Manager und den Künstler. Und wenn der toughe Frank Spotnitz in Hamburg vom ShowRunner als Autoren spricht, der Produzent zu sein habe, spätestens dann klingeln doch selbst dem geneigten Kulturindustrie-Anti die Ohren. Hallo? Erinnert sich noch jemand an Walther Benjamins Auseinandersetzung mit den sog. „Aktivisten“ aus dem Jahre 1934 unter dem Titel „Der Autor als Produzent“?

Bevor wir jetzt aber gemeinsam konspirativ die Faust in der Tasche ballen: Ja, das US-Fernsehen wird immer noch vom Kapital regiert und nicht von Politkommissaren. Aber die Qualitäts-Nachfrage-Trends sind derzeit, sagte Frank Spotnitz in Hamburg, „sehr, sehr positiv.“ Kabel, Pay-TV haben Akzente gesetzt, Internetanbieter und Video-on-Demand-Portale sind dabei, Amazon (lovefilm.de), die senderübergreifende Video-Plattform Hulu, apple, Bertelsmann, sogar der DVD-Service Netflix – und youtube will sein Angebot um professionell produzierten Original-Programminhalte erweitern. Alle wollen den Zuschauer binden. Die Lösung dafür, zumindest was Serien angeht, heißt Showrunner und Writersroom. Das unschlagbarste Argument, so Frank Spotnitz: “Ich kann die doppelte Qualität zum halben Preis liefern.“ Allerdings: Die Serien müssen sich schon universal verhökern lassen. Die ungewöhnliche Spionageserie Hunted produziert er von London aus für „cinemax“ in den USA und BBC 1; alle weiteren Rechte hat er noch zu vergeben… Er stellte zehn Minuten davon beim Filmfest vor. Ich erinnere mich an eine gutaussehende, schlagkräftige Protagonistin, die mit weiblicher Eleganz auch den Genickbruch beherrschte…

Forderungen nach einem Showrunner-/Writers Room-Modul in allen Filmhochschulen und Medienstudiengängen sind jetzt allerdings verfrüht: Die beiden Handwerkszeuge sind auf dem und für den amerikanischen Markt mit globaler Perspektive entwickelt. Am Anfang der Serienqualitätsrevolution stand HBO, was für Home Box Office steht und sehr frei übersetzt soviel heißt wie „Kino zu Hause“. . „It’s not TV, it’s HBO“, lautete denn auch der selbstbewusste Slogan des Senders. 1972 gegründet und ab 1975 populär durch Sportübertragungen, wie den„Thrilla in Manila“ (der legendäre Kampf Ali gegen Frazier) verfolgte der Sender die unverschämte Programmstrategie: Hochwertige Kinofilme und besondere (Sport-)Ereignisse ungekürzt und ohne Werbeunterbrechungen zu zeigen. 1983 strahlte HBO den ersten Fernsehfilm eines Kabelsenders aus und verschlüsselte 1986 als erster Sender sein Signal digital. Auf die Verbreitung von VHS (von 1976 an) und Videorecordern reagierte HBO mit verstärkten Eigenproduktionen. Jeffrey Bewkes, damals neuer HBO-Chef, wollte eigene Inhalte mit einem „kühnen, gänzlich anderen Fernsehen“. Dazu organisierte er ein offenes Betriebsklima für die Kreativen – und nicht für Controller. Bewkes schwebten Serien vor, die Abonnenten Woche um Woche zum Sender zurückkehren ließen. Die erste dieser Art war Oz, in einem Hochsicherheitsgefängnis angesiedelt. Sie lief von 1997 an – 20 Jahre nachdem Nina Hagen Ich glotz TV herausgeschrien hatte. Oz war Sprengstoff für die bis dahin gewohnten Serien-Formate. Die Autoren bekamen Zeit, ihre Geschichte, die Charaktere zu entwickeln. Als reiner Abonnentensender unterstand HBO zudem keiner Einschränkung der FCC (Federal Communication Commission), und konnte die Protagonisten ungeniert von Fuck, Shit, Piss, Cunt usw. knödeln lassen, Sex und Gewalt zeigen. Die Macher setzten die neuen Möglichkeiten souverän um, bauten Schräges, Tabus in hochwertige Erzählungen. Damit erschütterten sie das eherne Gesetz von Medienwissenschaft und -business, dass „der“ Zuschauer nur Unterhaltung will, die ihn aus dem Alltag holt.

Das Thesenpapier „zur Optimierung bei Fernsehfilm und Hauptabendserie“, gilt doch wohl bis heute als gültiger Ansatz, den die Konferenz der ARD-Programmdirektoren damals, zur Jahrtausendwende „zustimmend zur Kenntnis“ nahm (an die „Süßstoffdebatte“ wurde ja während des gerade abgeschlossenen Prozesses gegen Doris Heinze erinnert). Filme und Serien sollten, heißt es darin, „möglichst Generationen übergreifend“ sein, die „Erzählweise“ „durchgängige Verständlichkeit“ beinhalten, „unkompliziert, einfach, klar, auf keinen Fall verwirrend“ sein, das Milieu „attraktiv, interessant, zumindest nicht abstoßend“… Zu vermeiden sind „vermeintlicher und verquaster Tiefsinn, Unverständlichkeit…“ oder „unverständliche, unattraktive Anfänge“. – Hat schon einmal jemand versucht, einem deutschen Fernsehredakteur die Geschichte von einem krebserkranken Highschool-Lehrer um die 50 zu pitchen, der ins Drogenmilieu einsteigt, damit seine Familie nach seinem Tod finanziell abgesichert ist? (Breaking Bad) Oder: Ein Mann im mittleren Alter versucht seine nervenden Kinder zu aufrechten Persönlichkeiten aufzuziehen und seine Familie einigermaßen zusammenzuhalten, nur ist er der lokale Mafia-Boss und auch noch in Therapie (Sopranos). Die Debatten um den spätnächtigen Sendetermin der Sopranos im ZDF sind ja sicher noch erinnerbar. – Ach ja: Oz endete 2003, nach 56 Episoden a`55 Minuten in sechs Staffeln. 1998 startete Sex and the City, ein Jahr später The Sopranos. Den Erfolg bei der Kritik übertraf man noch mit The Wire (Start: 2002).

Anders als für die Networks zählt für HBO und Konsorten Profil und nicht Quote. Gute Kritiken steigern das Image des Senders, und damit die Abo-Zahlen, DVD- und online-Verkäufe. Die Folge: ein anderes Erzählen anderer Inhalte. Und das Publikum goutiert selbst nahezu radikale Stoffe. Denkverbote, Storygrenzen gibt es ebenso wenig wie Angst vor visuellen und erzählerischen Experimenten oder ungewöhnlichen Serienformaten. Dazu kommt, dass HBO Gesamtprogrammpakete verkauft, mithin mischkalkuliert; womit einzelne Serien nicht dem Quotendruck werbeabhängiger Sender unterliegen. Um die Euphorie noch ein wenig zu erden: Die enthusiastische Aufnahme einer Serie wie The Wire bei der Fernsehkritik stand in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Publikumsresonanz. Die durchschnittliche Quote von The Wire soll bei 2,8 bis 3 Millionen Zuschauer gelegen haben. Ein Blogger hat dies einmal auf die Größe des deutschsprachigen Fernsehmarktes übertragen und kam auf eine Einschaltquote von 400.000 Zuschauern. Das wäre nicht einmal eine Nische. – Und: Auch die vermeintlich unbeweglichen Networks setzten Standards mit innovativen Serien wie Seinfeld. Hill Street Blues (NBC), NYPD Blue (abc) sind keineswegs nur Who-done-it-Schlichtheiten. Frank Ketteler nannte Lost (abc) „bislang eines der größten und einfallsreichsten Erzählexperimente des 21. Jahrhunderts.“ (FAZ, 03.02.2012)

In all diesen Serien müssen Autoren nicht mehr alle Fragen innerhalb einer Episode beantworten. Der Showrunner hält die Fäden zusammen. Er ist traditionell Erfinder oder Miterfinder einer Serie, hat das Konzept entwickelt und verkauft, mindestens die erste Folge selbst geschrieben; er ist derjenige, der die Autoren zusammenhält, die visuelle Anmutung profiliert, beim Casting ebenso mitspricht wie bei der Kamera, der dafür sorgt, dass die Bücher pünktlich fertig sind und das Gesamtbudget im Auge hat, kurzum: Eine multiple Persönlichkeit die kreiert, verkauft, entwickelt, produziert – und den Weltmarkt kennt. Frank Spotnitz ist einer dieser ungewöhnlichen Typen. Verquere Künstleregos, sagt er, sind hier nicht gefragt, sondern Teamplayer. Das Produkt, nicht „der Autor“ oder dessen Selbstverwirklichung steht im Vordergrund. Emmo Lempert, Geschäftsführer von Studio Hamburgs Serienwerft, hob in einem Interview die positiven Aspekte des Schreibens im »Writers Room« auch für den deutschen Markt hervor. Bisher werde dieser in Deutschland nur in den täglichen Serien und Weeklies (z.B. Hinter Gittern) praktiziert. – Borgia hatte einen richtigen Showrunner, Tom Fontana, Autor, Produzent und Erfinder von Oz.

Trotz alledem: In Europa, in Deutschland sind insbesondere die medialen Bedingungen andere als in den USA. Welcher deutsche Entscheider traut sich insbesondere in finanzknappen Zeiten die Mehrkosten einer Stoff-Entwicklung mitzutragen, im Hinblick auf einen möglicherweise zu erwartenden Image-Gewinn? Warum müssen interessante Einkäufe bei „neo“ oder im Spätprogramm versteckt werden? Medienforscher Lothar Mikos vom Erich Pommer Institut meinte in einem Interview („Warum sind deutsche Serien so mies“, SpiegelOnline, 03. 04. 2012): „: Das Publikum in Europa teilt sich auf in eine ältere Generation, die nationale Produkte goutiert, und in eine jüngere Generation, die fast komplett mit US-Serien aufgewachsen ist und andere Erzählweisen schätzt. Es ist ja kein Zufall, dass die starken US-Formate in Deutschland fast ausnahmslos auf Privatsendern zu sehen sind – weil hier die jüngeren Zuschauer einschalten. Bei ARD und ZDF laufen hingegen vor allem traditionell erzählte Produktionen.“ Pro7Sat1 schlug jüngst bei Homeland zu und will die Serie von 2013 an ausstrahlen. „Für die Fernsehbeamten bei ARD und ZDF, die ihr Publikum lieber mit jahrzehntealten Krimi-Reihen sedieren, kommt ‚Homeland’ … nicht in Frage: zu schlau, zu schnell, zu ambivalent“, schrieb Martin Wolf im Spiegel (40/2012).

Ob allerdings die Installierung von Showrunnern oder Writers Rooms an diesen Zuständen etwas ändert bleibt abzuwarten. Bei aller verständlichen Euphorie über die US-Serien: Warum sollte jemand Jeans kopieren, wenn man gute Originale in den USA und in England kaufen kann? – Nur in den alten Serienklassikern funktioniert das nicht. In einem Witz treffen sich Öl-Baron J.R. Ewing (Dallas) und Blake Carrington (Denver Clan). Knurrt J.R. Ewing: „Ich bin so reich, dass ich die ganze Welt kaufen könnte.“ Retourniert Blake Carrington: „Ich verkaufe nicht.“

2021-05-07T18:04:35+02:0015. Januar 2013|
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