Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 232, März 2013

Von Georg Immich

In der Kinobranche findet zur zeit mit der Digitalisierung die größte Umwälzung seit Einführung des Tonfilms statt. Da dank der inzwischen umgesetzten FFA-Förderung und den zusätzlichen VPF-Zahlungen durch die Verleiher ein Großteil der kommerziellen Kinos auf Digital Cinema umgestellt hat, werden in 2013 wohl erste Verleiher damit aufhören 35mm-Kopien ihrer Neustarts zu erstellen und auszuliefern. Diese Entwicklung hat natürlich auch Auswirkungen auf jene Kinos, die sich nicht aus kommerziellen, sondern kulturellen Gründen mit dem Filmabspiel befassen. Da bei ihnen die finanziellen Mittel in der Regel recht knapp bemessen sind, ist der Digitalisierungsgrad bei kommu-nalen Kinos und Filminitiativen eher gering.

Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Zuspitzung musste der Bundesverband für kommunale Filmarbeit auf seinem jährlichen Bundeskongress neue Antworten für das seit langem diskutierte Thema bieten. Der Ansatz der Veranstalter und der beteiligten Mitgliedskinos war ambivalent. Einerseits versuchte man die verstreuten Kräfte zu bündeln, in dem sich die Kinos und Initiativen mit bisher nicht richtig bekannten Archiven vernetzen und zukünftig deren beträchtliche Ressourcen an 35mm-Kopien nutzen können. Andererseits wollte man auch andere Wege zur Digitalisierung jenseits der von den Hollywood-Studios initiierten DCI-Norm aufzeigen. Diese Aufgabe übernahm ein Team der Cinemathek Leipzig, dass in Dortmund sein A-Cinema genanntes System zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellte. Während aktuelle Digital Cinema Anlagen, die der DCI-Norm entsprechen, mindestens 60.000 Euro kosten, müsste man für das System aus Leipzig je nach Projektorstandard nur zwischen 10.000 bis 17.000 Euro ausgeben. Dies ist auch nochmals günstiger als die ebenfalls nicht DCI-zertifizierten Anlagen der Firma ROPA, die sich bei circa 20.000 Euro bewegen.

Der ohne einen Secure Media Box konstruierte A-Cinema Kinoserver kann zwar die DCI-Norm nicht erfüllen, aber mit der von Stephan Wein selber programmierten Software trotzdem verschlüs¬selte DCPs abspielen, da sein Mediaplayer zu Teilen auf dem EasyDCP-Player des Fraunhofer Institutes in Erlangen basiert. Die drei Tüftler der Cinemathek Leipzig wollen damit eine Alternative für kleine, finanzschwache Kinos bieten, die sich nicht nur keine reguläre DCI-Anlage leisten können, sondern auch die Kriterien für eine FFA-Förderung nicht erfüllen. Denn dazu muss ein Kino mehr als 8.000 Zuschauer pro Jahr und einen Nettoumsatz von mehr als 40.000 Euro vorweisen.

Durch diese Kriterien fallen vor allem kleine Kinos und jene Filmtheater mit einem kulturellen Programmansatz durch das Raster. Fabian Schauren, Geschäftsführer des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit, berichtet, dass von den 100 Mitgliedskinos seines Verbandes gut die Hälfte nicht die Kriterien der FFA erfüllen können. Zusammen mit dem Aus für kleine kommerzielle Kinos werde dies zu einem massiven Kinosterben in der Fläche führen. „Schon heute gibt es in Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, und in Ostdeutschland Regionen, in denen man im Umkreis von 50 Kilometern kein Kino findet. Wenn man keine anderen Lösungen als den DCI-Standard einführt, werden wir bald große weiße Flächen in der Kinolandschaft bekommen.“ Sven Wörner von der Cinemathek Leipzig schildert, dass sich bei ihm sogar kommerzielle Kinobetreiber gemeldet haben und Interesse an A-Cinema bekundeten. „Zum Beispiel ein Ein-Mann-Kino aus dem Allgäu, das nicht täglich Vorstellungen hat. Der kann sich schon den Eigenanteil bei der FFA-Förderung nicht leisten.“ Darüber hinaus wurde aus der FFA nahestehenden Kreisen bekannt, dass die Mittel für die Digitalisierung zur Neige gehen, und wer bis jetzt keinen Antrag eingereicht hat, wird wohl auch nicht mehr zum Zuge kommen.

Kernstück der in Dortmund präsentierten A-Cinema Anlage ist ein 3.000 Euro teurer Rechner mit Quad-Core-Prozessor und zwei Grafikkarten – eine für die Entschlüsselung und Dekodierung, die andere für die Ausgabe des Bildes an Kontrollmonitor und Projektor. Bei der Vorführung mit einem kurzen Testfilm konnte das System qualitativ überzeugen, obwohl es noch nicht die volle 12-bit Farbtiefe verarbeiten kann. Im Vergleich zu einer Projektion direkt von einer DCI-Maschine zeigte sich nur ein ganz leichtes Kriseln in den Bildern. Dies führte Stephan Wein darauf zurück, dass man in Dortmund für die Bühnenpräsentation eine HDMI-Funkstrecke zwischen Rechner und DCI-Projektor einsetzte. „Bei einem Anschluss per hochwertigem HDMI-Kabel gibt es da keine Unterschiede,“ versicherte der freie Softwareentwickler und Cineast Wein.

Interessiert an dem System zeigte sich unter anderem Gerald Stiller von der Kooperative Kino im Sprengel aus Hannover. Er schildert, dass ihr Kino die FFA-Kriterien nicht erfüllt und keine Förde¬rung erhalten wird. „Bei unserer Leinwandgröße von circa 6×4 Metern reicht auch eine Auflösung unterhalb von 2K,“ berichtet Stiller. „Wir brauchen kein starres, genau festgelegtes Paket wie es der DCI-Standard vorgibt, sondern ein frei konfigurierbares System wie bei A-Cinema oder ROPA.“ Mit dem Verleiher von Repertoirefilmen, Europe’s Finest fand sich auch ein Verleih, der die A-Cinema Initiative unterstützen will. „Zunächst bestanden unsere Lizenzgeber auf verschlüsselten DCPs. Dies hat sich aber gewandelt, weil die Rechteinhaber sie inzwischen nach der Auswertung gerne archivieren,“ erklärte Elke Bludau, die Disponentin dieses rein digitalen Filmverleihs. Spontan versprach sie den Leipzigern die Überlassung von kompletten DCPs für weitere ausführliche Tests.

Bei der Diskussion des Projektes stellte sich außerdem heraus, dass die fehlende DCI-Konformität nicht unbedingt ein Hindernis für die Programmgestaltung sein muss. Da kommunale Kinos keine Erstaufführer sind, erhalten sie Terminbestätigungen für neue Filme erst Monate nach dem deut¬schen Kinostart. Wie verschiedene bereits digitalisierte Mitglieder berichten, sind spätestens nach einem halben Jahr bei den Verleihern keine digitalen Kopien mehr verfügbar, weil die Festplatten entweder mit aktuelleren Filmen überspielt oder vernichtet wurden. Die Disponenten der Verleiher geben den kommunalen Kinos dann zwar ohne weiteres die Aufführungsrechte, für den Film selber verweisen sie aber auf die im Handel erhältliche Blu Ray. Somit bringen DCI zertifizierte Systeme für kleinere Kinos mit kultureller Ausrichtung nicht unbedingt einen Vorteil oder sind unabdingbar.

Der eigentliche Schwerpunkt des Kongresses in Dortmund lag allerdings beim klassischen 16- und 35mm-Film. Während der knapp dreitägigen Veranstaltung konnte sich mehr als ein halbes Dutzend weniger bekannter Archive mit jeweils einem ein bis zweistündigen Filmprogramm den Praktikern der kommunalen Filmarbeit präsentieren. Das Spektrum reichte von klassischen Ausprägungen wie bei den Archiven der Internationalen Kurzfilmtage oder des WDRs, bis hin zu einzelnen Kinos, die sich eine Filmsammlung zugelegt haben. Dahinter stehen dann teilweise beträchtliche Bestände. So besitzt das Filmforum Duisburg immerhin 900 Kopien, die Spitzenstellung nahm aber das Werkstatt-Kino aus München ein, mit einer 3.000 Titel zählenden Sammlung, davon 2.500 in Spielfilmlänge. Kai Gottlob vom filmforum Duisburg konnte sogar zeigen, wie man mit Filmen über die eigene Stadtgeschichte ganz neue Zuschauerkreise für ein kommunales Kino erschließen kann, plus in diesem Fall sogar Lizenzeinnahmen von Fernsehsendern erhält. Zum Abschluss verabschiedete man noch eine Resolution, in der man fordert, dass die zukünftige EU-Regelung für ‚verwaiste Werke‘ – also Bücher oder Filme, von denen der aktuelle Rechteinhaber nicht bekannt ist – nicht nur für Bibliotheken und Universitäten gelten sollte, sondern auch für die Arbeit von kommunalen Kinos sehr wichtig ist und auf diese Anwender ausgeweitet werden sollte.