Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 226/2012
Alle Macht den Künstlern
Ein Gespräch über Aus- und Weiterbildungsangebote für den Nachwuchs mit Sabine Matthiesen von der Kulturellen Filmförderung in Mecklenburg-Vorpommern sowie den beiden Regisseuren und Drehbuchautoren Jens Becker und Alfred Behrens, die beide als Professoren an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Babelsberg tätig sind.
Ellen Wietstock:
2011 starteten 182 deutsche Filme auf dem Kinomarkt. Es gibt Branchen-Teilnehmer, die bereits von Überproduktion sprechen. Welche Ziele verfolgt Ihr mit Eurem Weiterbildungsprogramm und welche Haltung vermittelt Ihr den Teilnehmern?
Alfred Behrens:
Wir starten unser neues Programm Babelsberg plus mit Leuten, die schon Berufserfahrung haben. Zu uns kommt die Regie Autorin, die am Leipziger Literaturinstitut Schriftstellerin geworden ist und anschließend an die Columbia University in New York gegangen ist, um dort Filmregie zu studieren. Sie bringt ihre Produzentin aus Belgrad mit. Zu uns kommt der dffb Regisseur, der nach mehreren Dokumentarfilmen sein erstes Spielfilm-Drehbuch schreiben will. Zu uns kommt die Verlags Lektorin aus Rostock, die ein Web Movie schreiben will. Zu uns kommt der Leipziger Stückeschreiber, der bei seinem fünften Hörspiel selbst Regie führen will, weil er weiß: Bei uns kann er ein Demo-Tape produzieren. Zu uns kommt die Kamerafrau, die vor zwei Jahren angefangen hat zu schreiben. Zu uns kommt die Musikerin, die jetzt einen Musikfilm machen will, ein musikalisches Hörspiel. Zu uns kommt der junge Bühnenverleger und Medien-Agent, weil er ein Drehbuch schreiben möchte.
Zu uns kommt die Regie-Autorin, die an einem Film über die Schriftstellerin Ilse Aichinger arbeitet, der schon halb fertig ist. Sie bringt ihre Cutterin mit, weil sie bei uns dramaturgisches Feedback erhalten.
Zur Frage nach unserer Haltung: Wir verschweigen nicht, dass wir den andauernden neo-liberalen „Klassenkampf von oben“ ablehnen. Wir verschweigen nicht, dass wir der Ansicht sind, dass der Kapitalismus ein zweites Mal gezähmt werden muss. Wir verschweigen nicht, dass wir die allumfassende Ausrichtung des Duopols ARD/ZDF auf totale Massenattraktivität, auf die Diktatur der Quote ablehnen. Wir sagen: Am Drehbuch für Bretton Woods II würden wir mitschreiben. Wir sagen: Die Reduktion einer Vielzahl von Förderinstitutionen auf die Funktion „Cash Cow für den Landeshaushalt“ muss revidiert werden. Wir sagen: Die Auslieferung ganzer Studentengenerationen an einen unregulierten Markt muss beendet werden. Ich könnte hinzufügen: Die Filmhochschulen müssen wieder Orte der Kulturellen Alterität werden, Schauplätze des Ganz Anderen, Spielplätze zur Herstellung von Erzählwerken, denen der Anspruch innewohnt, „ästhetische Gebilde und damit gestaltete Wahrheit zu sein“ – Originalton Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, L.A. 1944.
Sabine Matthiesen:
Mit der Regiewerkstatt möchten wir den Talenten im Lande eine professionelle Weiterbildung ermöglichen. Es gibt ja keine Hochschule in Mecklenburg-Vorpommern. Das Besondere an unserer Werkstatt ist zum einen, dass sie sehr praxisorientiert ist. Die Teilnehmer können sich ausprobieren und in einer Art Klausursituation die auf dem Gelände der Kulturellen Filmförderung befindlichen Kameras und Schnittplätze nutzen. Heute rackern sich Studenten an Plänen ab und können kaum noch über die kreative Seite ihrer Arbeit nachdenken. Zum anderen wollen wir unseren Teilnehmern ein Bewusstsein dafür vermitteln, dass man auch unabhängig arbeiten kann, nicht immer nur in Senderformaten denken und das Fernsehen als Auftraggeber im Auge haben muss. Mir ist wichtig, dass an der Drehbuchwerkstatt auch talentierte Leute aus Mecklenburg Vorpommern teilnehmen, deren Projekte noch nicht gefördert werden konnten.
Jens Becker:
Einige unserer Teilnehmer sind Absolventen der Filmhochschulen in Potsdam, Ludwigsburg, Dort¬mund und Köln. Und die treffen bei uns auf Quereinsteiger, die spät ihre Lust auf das Schreiben entdecken und davon auch nicht leben müssen, von Beruf Sozialarbeiter oder Grafiker sind. Einigen fehlen handwerkliche Basics, andere haben eine ausgeprägte künstlerische Handschrift und suchen nur Unterstützung während der Praxis des Schreibprozesses. Die bieten wir an, denn auch gestandene Autoren brauchen eine dramaturgische Beratung, weil man dem eigenen Stoff gegen¬über immer betriebsblind ist. Seminarteilnehmer mit einem großen Fachwissen sitzen also anderen gegenüber, die noch wenig wissen und nur aus dem Bauch schreiben, aber unter Umständen eine ganz frische Sicht haben. Altersmäßig ist die Runde sehr durchmischt, von Mitte 20 bis Ende 50, und die haben sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenserfahrungen durchaus etwas zu sagen.
Ellen Wietstock:
In der Branche tummeln sich zahllose Ausbilder, ehemalige Förderer betätigen sich als Consultants – der Aus- und Weiterbildungsmarkt ist riesig. Könnt Ihr als Lehrende noch guten Gewissens weitere Leute auf den Markt „loslassen“, von dem wir alle wissen, dass es sich um einen Subventionsmarkt handelt?
Jens Becker:
Subventionen sind meiner Meinung nach nichts Anrüchiges. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Wertschätzung. Müssen wir uns soviel Kultur leisten, wird ja momentan heftig diskutiert. Ich stelle mal die Gegenfrage: Müssen wir uns leisten, dass Wirtschaft subventioniert wird? Gerade regt sich die Solarenergiebranche auf, weil sie nicht mehr mit 50% subventioniert wird. Das ist politischer Wille gewesen, auch die Tourismusbranche wird subventioniert. Warum also nicht Kultur? Es gibt kaum noch einen Bereich des öffentlichen Lebens, der ohne Subventionen leben könnte. Und so ist es im Filmbereich auch. Die gesamte europäische Filmkultur wäre ohne Subventionen tot. Zurück zum Nachwuchs: Das Problem ist in der Tat der besetzte Markt. Selbst sehr gute Talente haben Mühe, ihren Platz, ihre kleine Marktlücke zu finden. Wir könnten an der HFF Konrad Wolf jährlich zehn Studenten im Studiengang Drehbuch/Dramaturgie aufnehmen, tun es aber nicht, sondern be-schränken uns in der Regel auf acht, weil uns nicht mehr Bewerber künstlerisch überzeugen. Weiterbildungsseminare sind jedoch etwas ganz anderes, das ist ein anderes Interessentenfeld. Es geht darum, ohne Druck zu experimentieren, Handschriften auszuprobieren, Genres und Formate kennen zu lernen, gemeinsam Erfahrungen zu sammeln, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Den verän¬derten Rezeptionsbedingungen tragen wir Rechnung, indem unsere Werkstätten in Babelsberg und in Wismar erst einmal offen sind für jede Art von Geschichten. Wir vermitteln parallel das Hand-werkszeug für Spiel- und Dokumentarfilme und streben immer Crossmedia-Verbindungen an. Am Anfang muss einfach eine gute Geschichte stehen, ob fürs Kino, fürs Fernsehen oder für Neue Medien, ist zunächst mal egal.
Alfred Behrens:
Wir wollen die Teilnehmer natürlich nicht ins Leere laufen lassen. Wir möchten Talente ins Kino, ins Fernsehen, ins Radio und ins Web bringen. Wir wollen, dass das Erzählen wieder als Kunst verstanden wird und dass nicht jeder Absolvent, bevor er überhaupt anfangen kann, seinen ersten Film zu machen, 13 Marketing-Szenarios schreiben und dann auch noch ein Cash Reflow-Horoskop erstellen muss. Der ganze Betrieb weiß, dass das nur Sandkasten-Spiele sind, unterfüttert mit Antrags-Prosa – trotzdem müssen diese phantasmatischen Texte verfasst werden. Wir wollen, dass die totale Ökonomisierung der ganzen Gesellschaft, die uns als Filme-Machern verkauft worden ist unter dem Un-Wort „Filmkulturwirtschaft“ – wir wollen, dass diese Fehl-Entwicklung korrigiert wird. Der Reduktion der Kultur auf die Funktion „Wirtschaftsfaktor“ im Marketing-Mix der Stand¬ortpolitik muss gegengesteuert werden. Wir brauchen wieder mehr kul¬turelle Filmförderung. Als wir uns damals auf die berühmten „Socken“ gemacht haben, zuerst in Hamburg und später dann im ganzen West-Land – da ging es um unabhängiges Filme-Machen, um Independent Storytelling. Danach kam die Orwellianische NewSpeak-Vokabel „Kulturwirtschaft“ und alles wurde wieder plattgemacht. Was wir heute auf der To Do-Liste haben, das kann ich mit einem einzigen Wort sagen, mit einem einzigen Satz: Rollback! Alle Macht den Künstlern! Vielleicht brauchen wir eine „High Commission On Fees And Exploitation“, europa-weit? Wir brauchen einen New Deal.
Ellen Wietstock:
Stichwort Kulturinfarkt: In diesem hoch umstrittenen Buch ist auch von einem Missverhältnis zwischen Fördermitteln und Verwaltungskosten die Rede. Handelt es sich bei der Entscheidung, nur Fördermittel in Höhe von rund 100.000 € in neue Projekte zu investieren, und den Rest für strukturelle Maßnahmen auszugeben, um eine bewusste Entscheidung?
Sabine Matthiesen:
Meiner Meinung nach kann man gar nicht genug Kultur fördern. Die Kulturelle Filmförderung in MV vergibt im Jahr 215.000 €; wir könnten mehr Mittel in kreative und kulturell anspruchsvolle Projekte geben, die Anträge dafür erhalten wir in jedem Jahr zahlreich dazu. Und dabei ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Projekte in MV umgesetzt werden, diese Mittel in die filmische Infrastruktur fließen. Dazu trägt unsere Einrichtung in hohem Maße bei, und dazu zählen auch die Weiterbildungsangebote auf diesem hier beschriebenen Niveau. Unsere Aufgabe ist es, den Kreativen den Rücken zu stärken, sie selbstständiger zu machen, sie zu ermutigen, den Film zu realisieren, sich auch nicht von Mitteln eines TV-Senders abhängig zu machen. Durch die neuen Vertriebswege und das Internet gelingt dies bereits sehr gut, da entwickeln sich erste Parallelstrukturen, die Entwicklungen sind sehr schnell, dies müssen auch TV-Sender im Blick behalten. Wir fördern wesentlich die Struktur und die Ausbildung in MV, es ist schon sehr ärgerlich, wie gerade erst geschehen, wenn die renommierten Filmhochschulen den Bewerbern, die aus Mecklenburg-Vorpommern kommen, zu verstehen geben, dass dort eigentlich kein Film stattfindet und in Frage gestellt wird, dass man ausgebildet wird. MV ist kein Filmland, da stimme ich zu; es wird aber für Dreharbeiten sehr gern genutzt, und genau da setzen wir an, helfen, die Struktur weiter aufzubauen, damit Produzenten und Medienarbeiter im Land bleiben können.
Alfred Behrens:
Unsere Arbeit ist vor allem auch deshalb wichtig, weil das Duopol ARD und ZDF seiner Aufgabe nicht mehr nachkommt, filmische Erinnerungsarbeit zu leisten, das mediale Erzählen weiterzuent¬wickeln. Es gibt inzwischen Sende-Anstalten, die keinen einzigen Essayfilm, keinen einzigen Expe¬rimentalfilm mehr produzieren. In den 1970er Jahren gab es noch Redaktions-Türen mit der Auf¬schrift . Das waren Werkstattredaktionen, in denen man lernen konnte, einen Film zu machen. Leute wie beispielsweise Gabriele Röthemeyer und Horst Königstein haben dort in Hamburg-Lokstedt gelernt, Heinrich Breloer hat in der Redaktion Weiterbildung des NDR viele Jahre lang Dokumentarfilme gemacht, und so einen kontinuierlichen Lern-Prozess durchlaufen – bevor er sich in den Spielfilm gewagt hat. Die ARD hatte damals informelle Filmwerkstätten in ihren Häusern. Produktionszusammenhänge, die keiner Quote unterworfen waren. Heute müssen wir das öffentlich-rechtliche Defizit ausgleichen, weil das Duopol seinem Kulturauftrag, seinem Gesellschaftsauftrag und auch seinem Bildungsauftrag nicht mehr nachkommt. Ich plädiere für einen „Forschungs-Cent“ von der neuen Haushaltsabgabe, der Filmhochschulen, Kunsthochschulen und Universitäten ermöglichen würde, Indie-Radio, Indie-TV, Indie-Webcontent zu produzieren und zu verbreiten.
Ellen Wietstock:
Einerseits ist die deutsche Förderlandschaft ein Eldorado für den Nachwuchs, andererseits wird er gnadenlos ausgebeutet. Die Privatsender wollen Filme mit Absolventen herstellen, in denen Schau¬spieler ohne Gagen mitarbeiten sollen. Die öffentlich-rechtlichen Sender machen’s nicht so deutlich, aber da wird auch mal gern das Honorar runtergehandelt mit dem Argument, man erhalte doch die Chance, etwas zu produzieren. Könnt Ihr diese Tendenz bestätigen?
Alfred Behrens:
Leider ja. Die Sender versuchen, auf Kosten der Regisseure, der Autoren und der Schauspieler, auf Kosten der Mitarbeiter aller Gewerke alle Honorare zu drücken. Besonders deplorabel: Diese Praxis wird inzwischen auch von anderen Institutionen der Kulturlandschaft gehandhabt. Wir müssen Dumping-Löhne und permanente Verletzungen der Arbeitszeitordnung hinnehmen, weil die gigan¬tomanischen Fehler der Finanzindustrie korrigiert werden müssen. Unsere Hörer und Zuschauer in der Region B-B müssen Qualitätsverluste im Programm hinnehmen, weil über die permanent sich verschärfenden Etat-Einsparungen die katastrophalen Fehler der Bruch-Piloten korrigiert werden müssen, die nicht in der Lage waren, einen etwas größeren Flughafen zu bauen – termingerecht schlüsselfertig, ohne Nachtrags-Haushalte.
Jens Becker:
Nach meinen Beobachtungen verlagert sich das Interesse insbesondere von jungen Leuten immer mehr auf die neuen Kommunikationsmittel. Selbst ich lese keine Printausgaben von Tageszeitungen mehr, sondern nutze Nachrichten- Apps im IPhone. Andererseits besteht der große Traum vieler Filmstudenten weiter, einen Film im Kino auszuwerten – dabei ist das Internet so viel präsenter. Im Kino sind selbst gute Filme oft schon nach einer Woche aus dem Programm verschwunden, aber in der Netzwelt finden die erzählerischen Abenteuer statt. Es gibt nur einen einzigen Nachteil: Man kann im Netz noch kein Geld verdienen. Jedenfalls kaum mit Filmen und auf legale Weise.
Ellen Wietstock:
Unabhängige Filmemacher und Produzenten verdienen mit Kinofilmen auch nichts. Wer keinen großen Namen hat, der verdient mit Filmemachen weniger, als wenn er putzen gehen würde. Aber zurück zu Eurem Weiterbildungs-Programm: Ein Modul heißt „Schreiben für das Ohr“. Ist das Radio noch ein zeitgemäßes Medium, das aber vielleicht angesichts der demografischen Entwicklung wieder an Relevanz gewinnen könnte?
Alfred Behrens:
Das Radio lebt! Mit einer Vielfalt von narrativen Genres, mit dem Erzählen als Hörkunst. Wir haben das klassische Hörspiel, das tradierte Feature, den Radio-Essay, die Audio Art der Freien Szene. Wir haben die neuen Erzähl-Möglichkeiten im Visuellen Hörspiel, in der Animated Audio Art, in der Audio Slide Show, im Hörfilm. Hier haben wir glücklicherweise auch noch Sender mit offenen Ohren, Redakteure mit offenen Ohren. Und wir finden vielleicht neue Partner in den Online-Redaktionen der Qualitätszeitungen. Hoch interessant: Visual Radio! Federführend entwickelt von der BBC; von der ARD und der Mehrzahl der Förder-Einrichtungen meines Wissens überhaupt noch nicht wirklich wahrgenommen – obwohl die neue Technologie vielleicht nur noch zwei Millimeter vor der Markt-Reife steht. Es entstehen neue Wort-Bild-Relationen. Das Zusam¬menspiel zwischen Ton, Wort, Bild und Musik wird neu austariert. Leider herrschen auch dabei Unterfinanzierungs-Zwänge. Nicht zuletzt deshalb, weil wir meines Wissens in der Hauptstadt-Region nur eine Förder-Anstalt haben, die sich einen ‚Förder-Referenten Radio’ leistet. Das ist die mabb, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg.
Jens Becker:
Abschließend noch ein Hinweis auf eine weitere Aktivität, nämlich die Lehrerweiterbildung. Es heißt seit Jahren, die Schüler müssen mehr Medienkompetenz haben, aber es passiert zu wenig. Das hängt damit zusammen, dass sich in der Bildung nicht so leicht etwas bewegt. Es ist nicht einfach, den Lehrern in ihrem harten Job noch eine Weiterbildungsmaßnahme abzuverlangen. Aber wir wollen versuchen, in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern neue Wege zu gehen und die Kompetenz, die wir an der HFF haben, mit der Kompetenz in der Medienwerkstatt zu bündeln.