Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 230, Dezember 2012/Januar 2013
Von Max-Peter Heyne
Gut beraten im Norden
Die skandinavischen Fördermodelle kommen ohne Fernsehgelder aus – ein Vorbild für Deutschland?
Um es vorweg klarzustellen: Nicht alles, was aus Skandinavien kommt, leuchtet gülden auf der Leinwand. Aber die meisten Filme fallen zumindest unter die Kategorie „sehenswert“ und wenn sie scheitern, dann auf hohem Niveau. Die Nordischen Filmtage in Lübeck, die in 2012 schon zum 54. Mal die neuesten skandinavischen Kinoproduktionen präsentiert haben, gehören deshalb zu den interessantesten deutschen Festivals. In diesem Jahr waren zwar auch dramaturgisch unoriginelle Ehe- und Familiendramen wie Marie Krøyer (Dänemark), Blondie (Schweden), Kompanie Orheim (Norwegen) oder Filme zu sehen, die unter der Last ihrer durchstrukturierten Konzeption ächzten (Liebe auf Finnisch, eine deutsch-finnische Koproduktion sowie Unschuld und 90 Minuten aus Norwegen). Aber es gab eben auch wieder Dramen wie die beiden Gewinnerfilme Die Jagd (vom dänischen Ex-Dogma-Filmer Thomas Vinterberg) und Eat Sleep Die (von der schwedisch-österreichischen Regisseurin Gabriela Pichler), die dank starker Figuren direkt ins Herz des Zuschauers trafen. Für seine Rolle in Die Jagd hatte Mads Mikkelsen bereits in Cannes den Darstellerpreis erhalten. Im Gegensatz zu deutschen Produktionen sind skandinavische Filme regelmäßig auf großen Festivals vertreten, wo sie – nimmt man die Zahl der Einwohner dieser Länder und den jährlichen Ausstoß an Filmen als Maßstab – überproportional häufig prämiert werden (wie zuletzt in Karlsbad oder Mannheim-Heidelberg).
Die Vermutung liegt nahe, dass dies auch mit anderen Förderbedingungen durch die skandinavischen Filminstitute zu tun hat. In der Tat fördern die dortigen Filminstitute lieber weniger Filme, dafür aber umso konsequenter. Aber das hängt nicht allein mit deren ‚Größe‘ zusammen. Es stimmt zwar, dass in Dänemark, Schweden und Norwegen sowohl der niedrigere Jahresetat als auch die deutlich geringere Zahl an unterschiedlichen Förderquellen zu einer im Vergleich zur deutschen Situation zentralisierteren und strukturell konzentrierteren Förderung zwingt. Andererseits stellt das Norwegische Filminstitut jährlich immerhin rund 54 Millionen Euro für Kinofilme zur Verfügung. Und auch in Norwegen gibt es zusätzlich regionale Fonds, „gap funding“, um kurzfristige Lücken in der Finanzierung zu schließen und „soft money“ (2 Mio. € jährlich), um die Werthaltigkeit eines Film aufzupeppen. Hingegen ist der markanteste – und wohl auch die einzelnen Filme prägendste – Unterschied gegenüber dem deutschen Förderungssystem der vollständige Verzicht auf Fernsehgelder. „Wir haben vor Jahren darüber intensiv diskutiert und uns dagegen entschieden“, sagt Ivar Køhn vom Norwegischen Filminstitut mit dem Verweis auf die andere Ästhetik zwischen TV- und Kinofilmen und dem anderen Publikumsverhalten.
Dieser Umstand bedeutet für alle Beteiligten, in Kinoformaten zu denken, zu planen und auch zu drehen, meint Køhn, – und sich bewusst zu sein, sich in einem harten Vorauswahlwettbewerb um die vielversprechendsten Skripte zu befinden: 2011 hat das Gremium des Norwegischen Filminstituts von 150 Antragstellern nur zehn Projekte ausgewählt. Wichtigste Kriterien für die Beurteilung eines Stoffes sind die Qualität des Drehbuchs, der künstlerische Anspruch“ und/oder die kommerzielle Erwartung für den heimischen Markt, wofür es einen automatischen Bonus gibt. Das bedeutet, dass bei mehr als 10.000 anvisierten Tickets in norwegischen Kinos das Budget für die entsprechende Produktionsfirma verdoppelt wird, so z.B. im Falle des Actionkrimis Headhunters und des aufwendigen Abenteuerfilms Kon-Tiki, der Eröffnungsfilm in Lübeck war. Im vergangenen Jahr erhielt die Hälfte der insgesamt 32 geförderten Kinofilme den automatischen Bonus, wobei zehn der Filme ihr Box-Office-Ziel verfehlten.
Vor allem in Schweden und Norwegen wählen “Commissioners” aus den eingereichten Projekten aus – meist erfahrene Leute aus den Filmbranchen wie Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten, aber auch Cutter etc. –, die auch dafür zuständig sind, die erfolgreichen Antragsteller anschließend intensiv zu beraten. Diese Betreuer werden alle vier Jahre ausgetauscht und sollen die ausgewählten Projekte schrittweise, aber relativ rasch bis zur Produktionsreife betreuen. Oberstes Ziel ist die Vermeidung eines Stillstandes, „denn was einmal ausgewählt wurde, soll auch konsequent produziert werden“, erläutert Ivar Køhn vom norwegischen Filminstitut. Als junger und noch unerfahrener Produzent ist es daher vielversprechender, wenn man nicht als Einzelkämpfer auftritt, sondern in eine der etablierten norwegischen Produktionsfirmen eingebunden ist, betont Køhn. Die Berater, die zeitweilig beim Institut mitarbeiten, sind keine Ko-Produzenten, pflegen aber bis zum Dreh, also rund ein bis zwei Jahre lang, einen intensivem Austausch mit der jeweiligen Produktionsfirma und dem Regisseur. Neben einer schnellen Herbeiführung von Entscheidungen sollen die Berater den Beteiligten helfen, sich zukünftig in der nationalen Filmindustrie zu etablieren.
Da Norwegen kein Steuervergünstigungsprogramm für ausländische Investoren unterhält, müssen andere Anreize zum Anlocken von internationalen Koproduktionen ausreichen: An Koproduktionen beteiligte Firmen müssen das Fördergeld, das sie vom Norwegischen Filminstitut erhalten, nicht zurückzahlen, egal wie erfolgreich der Film in den Kinos später auch sein mag. Zudem muss nicht zwangsläufig im Land oder mit norwegischen Schauspielern gedreht werden; allerdings stellt Norwegen gerne erfahrenes Filmpersonal wie z.B. Trickspezialisten zur Verfügung. Weit stärker noch als Dänemark und Schweden strebt die norwegische Filmindustrie nach Koproduktionen mit deutschen Partnern, da sich die „jeweilige Mentalität und der kulturelle Hintergrund sehr ähnelt“, wie Ivar Køhn sagt, und norwegische Filme daher auf dem deutschen Kinomarkt besondere Potentiale ausschöpfen können. „Deutschland ist für uns der wichtigste europäische Markt“, so Køhn, deshalb hat die Regierung den Etat des Norwegischen Filminstituts bereits vor vier Jahren um 15 Prozent aufgestockt, damit vorzugsweise deutsch-norwegische Produktionen gefördert werden. Im nächsten Jahr wird dieser Topf noch einmal um zwei Millionen Euro aufgestockt. Außerdem erhalten vier besonders talentierte Autorenfilmer eine ‘carte blanche’, also quasi eine automatische Anschlussförderung, um gezielt ihre individuellen Projekte umsetzen zu können.