Revolution auf Raten

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2021-04-26T09:18:43+02:0025. April 2016|

Artisten in der Zirkuskuppel: 40 Jahre Regieverband


Vor 40 Jahren wurde in der Kantine der Bavaria Film in München der Bundesverband der FernsehFilmregisseure e.V.
gegründet. Heute zählt der BVR mit mehr als 700 Mitgliedern zu den größten Verbänden der Filmbranche. Aus Anlass des
Gründungsjubiläums traf die black-box-Herausgeberin BVR-Geschäftsführer Dr. Jürgen Kasten zu einem Gespräch.

Ellen Wietstock: Worum ging es 1975 beim Zusammenschluss der Regisseure, was wollten sie erreichen?

Jürgen Kasten: Es begann mit rund zwanzig damals bereits recht bekannten Fernsehregisseuren, zum Beispiel mit dem bei
der Bavaria festangestellten Franz-Peter Wirth, Helmut Dietl, der damals fürs Fernsehen arbeitete, und ausgewiesenen
Regisseuren wie Rainer Erler, Eberhard Itzenplitz, oder Klaus Überall. Sie alle waren unzufrieden mit den
Honorarbedingungen, vor allem mit den Wiederholungshonorar-Regelungen des damals im Aufstieg begriffenen ZDF – ein
im Übrigen heute immer noch aktuelles Thema. Die Regisseure wollten drei Dinge: eine angemessene Vergütung, mehr
Rechte und eine bessere Anerkennung ihrer Leistungen. Der neue deutsche Film, in Gestalt etwa von Werner Herzog. Volker
Schlöndorff, Peter Lilienthal, Volker Vogeler und Rainer Werner Fassbinder, schaute zunächst einmal aus der Distanz zu.
Um 1975 gab es zwei Arbeitsgemeinschaften – einmal die der Fernsehregisseure um Franz-Peter Wirth und Rainer Erler, und
eine Gruppierung des neuen Kino¬films um Michael Verhoeven und Alexander Kluge, die bereits klar filmpolitische Ziele im
Auge hatten, wie etwa Sitz und Stimme in der FFA. Das war auch erfolgreich und kurze Zeit später traten traten Verhoeven,
Fassbinder und Lilienthal dem BVR auch bei, während Kluge und Norbert Kückelmann sich stärker in der ebenfalls in
diesem Zeitraum gegründeten AG neuer deutscher Spielfilmproduzenten engagierten. Nicht zu vergessen ist Eberhard Hauff,
der den BVR organisatorisch in Fahrt brachte, Geschäftsstelle und Justiziariat einrichtete, und darüber hinaus sehr gut in der
Branche vernetzt war.

Ellen Wietstock: Wie ist heute das Verhältnis von Kino- und Fernsehregisseuren im BVR?

Jürgen Kasten: Heute kommt kein Regisseur ohne ein Fernsehstandbein aus, das spiegelt sich in den Umsatzzahlen wider.
Etwa 85% des Umsatzes, den die im Regieverband zusammengeschlossenen Regisseure erarbeiten, werden im Fernsehen
getätigt, und nur 15% im Kino. Entsprechend werden die Regieaufträge vergeben. Uns fallen doch keine fünf genuinen
Kinoregisseure ein, Fatih Akin gehört dazu, auch Wim Wenders und Margarethe von Trotta, aber das sind ja vom Alter her
rüstige Rentner, die ihr Auskommen auch ohne Film haben, und die sich aufgrund ihrer hohen Reputation um die
Finanzierung der Existenz, der eigenen Familie oder der Firma keine oder wenig Gedanken mehr machen müssen. Selbst
herausragende Regisseure wie Dominik Graf, Christian Alvart oder Christian Petzold machen „Tatorte“ und „Polizeirufe“.
Im Übrigen ist filmhistorisch ja bekannt, dass die Entwicklung etwa von Wenders, Lilienthal, Herzog und vor allem
Fassbinder ohne den WDR und das ZDF nicht denkbar gewesen wäre. Den genannten Regie-Koryphäen war egal, wie ihre
Filme ausgewertet werden, sie wollten sich ausdrücken, brauchten Film-Material, eine Kamera und eine knappe Million DM
und los ging’s. Die 1970er Jahre waren – ähnlich vielleicht wie die frühen 1920er Jahre – eine ungemein kreative Phase
des deutschen Films, wesentlich geprägt von den Regisseuren und Autoren (häufig, wenn auch nicht immer in Personalunion). In diese Zeit des verunsicherten Aufbruchs fällt die Gründung des BVR.

Ellen Wietstock: Während in den 1980ern im Ausland deutsche Regisseure Goldene Palmen und Goldene Löwen gewannen
für Paris, Texas, Stand der Dinge, Die bleierne Zeit und Himmel über Berlin hieß es in Deutschland plötzlich: Der deutsche
Autorenfilm ist langweilig, wir müssen im Kino Zuschauer erreichen und unterhalten, die Komödie wurde ausgerufen. Und
Günter Rohrbach schrieb einen Artikel über die verhängnisvolle Macht der Regisseure, nachdem er einige Jahre zuvor den
sogenannten amphibischen Film propagiert hatte.

Jürgen Kasten: 1982 war ein einschneidendes Jahr für den deutschen Film, es war das Jahr, in dem Fassbinder starb. Der
neue deutsche Film geriet in eine ästhetische Krise, die wiederum zusammenhing mit der gesellschaftlichen Krise der
Bundesrepublik Deutschland. Die Sinnkrise produzierte eine ästhetische Krise. Gleichzeitig stieg der Einfluss des Fernsehens
immens an. Die ökonomischen Aspekte des Filmemachens wurden von da an immer wichtiger und sind es bis heute. Bei
dieser Jahrzehnte anhaltenden Diskussion über Film als Kultur- oder Wirtschaftsgut verändern sich die Gewichtungen je
nach gesellschaftlicher Situation immer mal wieder. Und Rohrbachs Appell war pro domo gesprochen. Er ist ein kluger und
erfahrener Profi und nutzte dieses Vakuum, um es als Produzent mit eigener Macht zu besetzen, die er als Fernsehredakteur
nicht besaß und anscheinend auch nicht als Bavaria-Chef. In den 1970er und Anfang der 80er-Jahre war er klug genug,
Regisseuren wie Fassbinder und Wenders nicht in die Arbeit hereinzureden, weil er wusste, die machen das allemal besser
als ich. Und mit der Losung vom amphibischen Film hat Rohrbach ein Konzept entwickelt, um den Einfluss der Sender in
den Filmförderungsinstitutionen auszubauen, vor allem in den Regionalförderungen. Übrigens fällt in diese Zeit auch der
erste große Erfolg des BVR: 1982 handelte er ein System von Wiederholungshonoraren auch für die Auftragsproduktionen
des ZDF aus.

Ellen Wietstock: Der erste Intendant des Filmboards Berlin-Brandenburg, Klaus Keil, hat den Begriff des kreativen
Produzenten aufgegriffen und damit die Macht der Produzenten gestärkt. Ein Fehler?

Jürgen Kasten: Klaus Keil war ursprünglich Herstellungsleiter und der Auffassung, produzieren sei der wichtigste Zweig
der Filmherstellung. Ich halte diese Auffassung bis heute für einen strukturellen Denkfehler. Dass ist, etwas überspitzt gesagt
so, als wenn der Zoodirektor meint, er sei die Sensation und nicht der Löwe oder das Nashorn. Gerade hier in Berlin, der
Hauptstadt der Kreativen, ist es ein Unding, Drehbuch- und Stoffentwicklungsförderung nur an die Produzenten zu geben.
Die jetzige Intendantin Kirsten Niehuus schreibt das fort, weil sie eine ähnliche filmwirtschaftliche Ausrichtung vertritt wie
Keil. Das Medienboard Berlin Brandenburg ist meiner Ansicht nach zu sehr an den Polen angesiedelt, einerseits an der
Förderung großer Blockbuster und andererseits am experimentellen Film, während das Mittelfeld der Filmproduktion zu
wenig berücksichtigt wird.

Ellen Wietstock: Gibt es Überlegungen im Regieverband, die Produktionsprämien des Deutschen Filmpreises zugunsten der
Regisseure neu zu verteilen?

Jürgen Kasten: Vor vier Jahren hat der BVR den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann überzeugen können,
Regisseurin bzw. Regisseur die Verfügungsgewalt über 10% der Filmpreisprämien zuzu¬sprechen, damit sind wir zufrieden.
Viel wichtiger ist für den BVR aktuell, diese Partizipation der Regisseure/innen und möglichst auch der
Drehbuchautoren/innen auch auf die Referenzfilmmittel der FFA und der Länderförderungen zu verlängern. Allein die FFA
vergibt jährlich zwischen 15 und 16 Mio. Euro an automatischer Förderung. Bei jeder FFG-Novellierung setzen wir uns
dafür ein, dass Drehbuch und Regie bei der Verteilung der Referenzgelder mit 10% berücksichtigt werden. Mit relativ
bescheidenem Mittelansatz könnten hier infrastrukturelle Probleme, vor allem in der Pre-Production-Phase angegangen
werden, wenn der erfolgreiche Autor und/oder Regisseur bereits das Startgeld für das nächste Projekt sicher hätte.

Ellen Wietstock: Welche Argumente werden von Seiten der Produzenten gegen diese Vorschläge ins Feld geführt?

Jürgen Kasten: Die Produzenten bestehen darauf, weil es immer so gehandhabt wurde, als wären Referenzfilmmittel ihr
Besitzstand. Dabei soll damit nicht das Risiko in der Organisation von Produktionsmitteln, sondern der materielle und der
künstlerische Erfolg belohnt werden. Der resultiert jedoch aus der ästhetischen Gestaltung, für die Autor und Regisseur
zeichnen. Wir wollen den Produzenten im Gesamtvolumen der Referenzfilmmittel nichts wegnehmen. Es geht lediglich um
etwa eine Million, die etwa bei der FFA auf die Referenzfilmförderung draufgeschlagen und über Umverteilung finanziert
werden könnte, zum Beispiel dadurch, dass man jeweils 0,5 Mio. € aus der Produktionsförderung und 0,5 Mio. € von den
Herausbringungskosten der Verleihförderung umverteilt. Abge¬sehen davon, dass die FFA immer stille Reserven hat und eine
solche Summe auch hieraus finan¬zieren könnte. Wir haben diesen Vorschlag natürlich in die laufende FFG-
Novellierungsdebatte eingebracht. Wichtig wäre, dass sich auch die hinsichtlich Statutenveränderungen etwas intransparen
agierenden Länderförderungen mit dem Thema befassen.

Zusammen mit dem Verband der Drehbuchautoren (VDD) fordert der BVR zudem eine Neu¬strukturierung der FFA-
Drehbuchförderung. Wir sind für ein zweistufiges Modell – im ersten Schritt eine Grundförderung und danach eine sehr gut ausgestattete Optimierungsförderung, wo dann Summen zwischen 100.000 und 150.000 € an die einzelnen Projekte fließen sollen.

Bei der Referenzfilmmittel-Förderung sollte außerdem zukünftig stärker auf das Verhältnis von Herstellungskosten und
Besucherzahlen geachtet werden. Im Moment spielt diese Relation über¬haupt keine Rolle. Wenn ein Film eine halbe Million
Zuschauer erreicht, erhält er die Summe X – unabhängig davon, ob er 1,5 oder 15 Mio. € gekostet hat. Das eine ist ein
Riesenerfolg, das andere aber eher ein Flop. Der BVG schlägt vor, ein gestaffeltes Bonus-Malus-System einzuführen, das
sich in den Zu- und Abschlägen an der Relation Zuschauer zu Produktionskosten oder Fördermitteln orientiert.

Ellen Wietstock: Wie seht Ihr das Problem der Rückflüsse?

Jürgen Kasten: Die Rückflussquote ist bei der Projektfilmförderung niederschmetternd. Alle wissen, dass die Gewinne eher
beim Verleih oder den Vertriebstöchter realisiert werden, und auch hier ist die Rückflussquote noch bescheiden.
Offensichtlich gibt es sehr viel Verrechnungsspielraum in Form garantierter Provisionen für Verleiher und in der
großzügigen Abzugsfähigkeit von Herausbringungskosten und Minimum-Garantien. Solange dieses Gebaren zulässig ist und
sogar gefördert wird, denn es gibt zum Beispiel die revolvierende Verleihförderung, bleibt alles beim Alten. Wir haben die
Abschaffung der revolvierenden Verleihförderung bei der FFA gefordert. Die geht so: Ein Major beantragt Verleihförderung
für einen Film, der mit Sicherheit ein Erfolg wird, die er aber eigentlich gar nicht benötigt. Eine Sekunde, nachdem die
Summe beim Verleih eingetroffen ist, überweist der das Ganze zurück, und hat Anspruch auf erneute Förderung nach seinem
Gusto. Er kann diese Fördergelder ausgeben, wie er will, sogar in Eigenkapital umwandeln. Der BVR wird sich dafür
einsetzen, diese Förderart zu kappen und die frei werdenden Gelder beispielsweise in die Drehbuchförderung zu investieren.

Aus meiner Sicht greifen die Verleihfirmen generell zu viel von den Verwertungserlösen ab, der Produzent erhält dagegen zu
wenig. In unserem Filmfördersystem wird der Verleih immer als erster bedient, er erhält seine 35% Vertriebsprovision, seine
Herausbringungskosten oder seine Minimumgarantie als Erster zurück. Deswegen haben die größeren Produktionsfirmen
eigene Verleihfirmen gegründet. Wenn der Verleih so clever ist und Kosten auf dem Papier produziert, dass sie den Gewinn
bei der Produktionstochter auffressen, spart man die Rückzahlung von Förderung oder auch Gewinnbeteiligungen der
Urheber. Das ist die Kunst des Bilanzierens in einem vertikalen Konzern.

Ellen Wietstock: Auch wenn dieses Vorgehen legal ist, muss man es doch nicht als gottgegeben hinnehmen. Der Produzent
Martin Hagemann schlägt vor, diesen Mechanismus der Vertikalstrukturen genau unter die Lupe zu nehmen und zu
verändern. Was hält der BVR davon?

Jürgen Kasten: Mit dem von Martin Hagemann entwickelten Modell kann ich mich zum größten Teil anfreunden, teilweise
aber auch nicht. Er will zu viel Fördermittel für den Low-Low-Budget-Bereich veranschlagen, beispielsweise für Filme, die
auf Internetplattformen gezeigt werden. Als Regieverband sind wir eher an industriellen Fertigungsstrukturen mit
kommerziellen Verwertungsmöglichkeiten interessiert. Mehr automatische Filmförderung ja, aber mit klaren Kriterien und
unter Beteiligungen im Erfolgsfall auch für die, die diesen wesentlich zu verantworten haben: und das sind eben nicht nur
Verleiher und Produzent, sondern vor allem Autor/in und Regisseur/in. Das bisherige Belohnungssystem der
Referenzfilmmittel zäumt das Erfolgspferd hingegen von hinten auf.

Martins Vorschlag der Verschlankung der Fördergremien und Besetzung ausschließlich mit ausgewiesenen Fachleuten, die
für begrenzte Amtszeiten eingesetzt und bezahlt werden und rechenschaftspflichte sind, finde ich bedenkenswert. Eine
weitere Professionalisierung und Verschlankung von Jurys und Gremien ist sinnvoll. Da müsste auch bei den
Regionalförderern noch nachgebessert werden. Momentan gehören zum Beispiel der Hauptjury der Filmstiftung NRW keine
Filmschaffenden an, sondern nur Bürokraten, Ministeriale, Produzenten, Sendervertreter und die Förderer selbst. Wir
bemühen uns, diese merkwürdig abgekapselte Situation zusammen mit dem VDD zu ändern. Die Verantwortung der
Filmförderer in den Ländern für ausgewogene Jury¬besetzungen und transparente Förderstrukturen zu steigern, ist ebenfalls
notwendig. Übrigens sitzen alle drei Länder-Geschäftsführerinnen – Kirsten Niehuus, Petra Müller, Eva Hubert – im ZDF-Fernsehrat. Dass dies dem deutschen Kinofilm in den letzten Jahren irgendwie zugute gekommen ist, davon haben wir nichts gemerkt. Ich halte dies zudem für eine unzulässige Verquickung von Interessen, denn das ZDF ist Einzahler bzw. Gesellschafter bei den jeweiligen Förderinstitutionen.

Ellen Wietstock: Wie ist der Stand der Verhandlungen mit den Sendern hinsichtlich der Vergütungsregelungen für
Regisseure?

Jürgen Kasten: Der Regieverband hat eine sehr faire Vergütungsregelung mit ProSiebenSat.1 abgeschlossen. Es handelt sich
um eine Buyout-Grundregelung, die aber weitere Beteiligungen eröffnet. Die hängen von der Anzahl der Zuschauer ab, was
bei einem werbefinanzierten Sender die Währung ist. ProSiebenSat.1 zahlt beispielsweise eine angemessene Honorarsumme
von 30.500 € für eine 45-minütige Serie plus Erlösbeteiligung bei über fünf Mio. Zuschauern, beim TV-Movie sind es
61.000 € und weitere Beteiligung von 10.000 € bei mehr als 6,51 Mio. Zuschauern/Nutzern pro zusätzliche 1,8 Mio.
Zuschauern. Außerdem gibt es Beteiligungen bei Auslandsverkäufen, die mehr als 120.000 € einbringen. Das sind meiner
Meinung nach faire Bedingungen, die uns die ARD momentan bei ähnlich gelagerten Verhandlungen nicht bereit ist
einzuräumen. Hier sind wir sehr weit auseinander, und es sieht nach einer Schlichtung aus, wozu die ARD aber angeblich
nicht bereit wäre.

Mit dem ZDF haben wir in Sachen Vergütungsregelung einen Kompromiss geschlossen. Nach mehreren Gerichtsverfahren
einigten wir uns auf Prof. Ferdinand Melichar als Schlichter, der allerdings trotz seiner langjährigen Tätigkeit als VG Wort-
Vorstand und Urhebervertreter eine sehr eigenartige Rechtsauffassung zur Mindestvergütung offenbarte. Unter
Mindestvergütung versteht er das, was an der untersten Skala der Vergütung gerade noch angemessen ist. Auf andere
Geschäftsbereiche übertragen hieße das, dass beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn von 8.50 € stets ausreichend wäre.
Von dieser Rechtsauffassung war Melichar nicht abzubringen, so dass der Regieverband mit dem ZDF eine Basisvergütung
vereinbaren musste. Wir haben im Verband so gut wie keine Anfänger – Mitglied kann nur werden, der bereits 180 Minuten
Regieleistung absolviert hat. Insofern ist eine höhere Einstufung gerechtfertigt. Im Gegensatz zum Drehbuchverband haben
wir keine Regelvergütung, sondern eben eine Basisvergütung vereinbart, also eine Art Mindestvergütung für Regisseure mit
der genannten Inszenierungserfahrung. Die lautet auf 27.820 € bei kompletter Folgevergütung für weitere Nutzungen und
50% Wiederholungshonorar in der Primetime. Angehoben wurde auch das wiederholungsfähige Honorar um ca. 35 %.
Allerdings lag das jahrzehntelang im Dornröschenschlaf und war unangemessen. Aktuell haben wir zu ähnlichen
Konditionen auch den Bereich Serie des ZDF abgeschlossen.

Der Bereich Dokumentarfilm ist ebenfalls weitgehend ausverhandelt, aber noch nicht unterschrieben. Im 12. Rundfunk-
Änderungsstaatsvertrag steht in der Protokollnotiz ausdrücklich, dass ARD und ZDF den Urhebern und Produzenten faire
und angemessene Vertragsbedingungen zu offerieren haben. Diese Selbstverpflichtung ist nach mehr als sechs Jahren bei der
ARD noch überhaupt nicht, vom ZDF nur in Teilen umgesetzt worden. Ein kleiner medienpolitischer Skandal. Selbst RTL ist
da aktuell verhandlungsbereiter.

Ellen Wietstock: Nach meinen Beobachtungen kann der Regienachwuchs, der Kino machen kann und will, keine Karrieren
mehr aufbauen. Deckt sich das mit Euren Erfahrungen?

Jürgen Kasten: Jein – es gibt immer wieder Ausnahmen. Außergewöhnliche künstlerische Exzellenz sollte sich durchsetzen
können. Strukturell gesehen, ist die Marktlage allerdings nicht rosig. Der BVR hat etwa 550 Regiemitglieder, außerdem
organisiert er Regieassistenten und Continuities. Ich schätze mal, dass es in Deutschland rund 1.000 Regisseure gibt. Aber in
jedem Jahr kommen von den Filmhochschulen und privaten Hochschulen bis zu 100 Regieabsolventen sowie
Seiteneinsteiger aus der Germanistik, den Theaterwissenschaft oder dem Journalismus hinzu. Sie strömen in einen bereits
gesättigten Markt, da es kaum Auftragszugänge geben wird. Woher sollten die kommen, von Netflix oder Sky? Ich glaube:
kaum. Anfänger sind fast immer bereit, alle Produktionsbedingungen zu akzeptieren. Der deutsche Kinofilm stagniert
quantitativ auf hohem Niveau von ca. 150 – 170 Spielfilmen, die Aufträge von Seiten der Sender sind eher rückläufig. Wir
befinden uns also in einer Verdrängungssituation, in der die schwächeren am ehesten herunterfallen. Dies sind vor allem
Ältere und Frauen. Es sollte jedem Regie-Aspiranten klar sein, dass er sich in einen ohnehin hochgradig risikobehafteten
künstlerischen Beruf begibt, oft ungesichert oder in prekären sozialen Verhältnissen arbeitend.

Kurz zur Genderfrage, die zur Zeit in aller Munde ist: Im Regieverband sind 78% Männer und 22% Frauen organisiert. Die
VG Bild Kunst hat auch eine Gender-Erhebung gemacht und kommt auf ein Verhältnis von 64 zu 36. Diese 36% kommen
zustande, weil Frauen überproportional im Journalismus und im kleinen Dokumentarfilm vertreten sind. In der großen
Fiction haben die Regisseurinnen einen Anteil von ca. 22 %. Woran das liegt, dazu wird die FFA eine Studie in Auftrag
geben. Diese Anteile am jeweiligen Markt sollten ebenfalls in die Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit bei der Vergabe
von Regieaufträgen und Filmförderungsmitteln einfließen. Der BVR hat ja einen ersten Diversitätsbericht Gender für die
Jahre 2010-13 vorgelegt und wird den in geeigneter Form auch fortsetzen.

2015-09-26T13:37:00+02:0026. September 2015|

Förderung essen Produzenten auf

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 233, April/Mai 2013

Förderung essen Produzenten auf

Soll es so weitergehen wie bisher im deutschen Film? Auf keinen Fall, meint der Produzent Martin Hagemann. Seine Firma zero fiction film produzierte u.a. Das Turiner Pferd von Béla Tarr. Der Film lief 2011 im Wettbewerb der Berlinale und gewann den Silbernen Bären. 2012 gewann seine deutsch-israelische Dokumentarfilmproduktion The Law in These Parts das Festival in Sundance. Martin Hagemann unterrichtet an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg, er ist Vorstandsmitglied der AGDOK, sowie Beiratsmitglied des DFFF.

Ellen Wietstock:
Es gibt in Deutschland sehr viel Geld für Filmförderung, das Budget des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) ist gerade noch einmal um zehn Mio. Euro auf insgesamt 70 Mio. pro Jahr erhöht worden. Und trotzdem: Warum ist es Deiner Meinung nach an der Zeit, über eine tiefgreifende Umstrukturierung des jetzigen Fördermodells nachzudenken?

Martin Hagemann:
Die Frage, die mich beschäftigt, lautet: Wie kann es sein, dass wir über das meiste Filmfördergeld in der Welt nach Frankreich verfügen und so wenige bemerkenswerte Filme entstehen? Kein Mensch kann mit dem Erreichten zufrieden sein. Wir sind auf den Festivals nicht wirklich mehr präsent. Der Marktanteil des deutschen Films hat sich zwar erfreulicherweise in den letzten zehn Jahren rund um 20% eingependelt. Wenn man jedoch die zwei, drei Blockbuster des Jahres herausnimmt, die im Grunde immer von den gleichen Leuten produziert werden, bleibt für die anderen deutschen Produktionen ein Marktanteil, der unter dem von Österreich liegt. Die Österreicher gewinnen dafür aber regelmäßig einen Oscar und Auszeichnungen auf den großen Festivals.

Ellen Wietstock:
Von wem sollte dieses öffentliche Nachdenken über das Filmförderwesen ausgehen? Sind die Förderer in Gestalt der Geschäftsführer/innen Bündnispartner der Produzenten oder eher geliebte Feinde? Welche Rolle können sie in dieser Debatte spielen?

Martin Hagemann:
Mein Eindruck ist, dass die Produzentenverbände – hier vor allem die Produzentenallianz und die AGDok – dringend zusammen mit den Verbänden der Kreativen über eine neue Struktur der Filmförderung nachdenken sollten, zumal die Etablierung des Fördersystems vor über 40 Jahren auch von der Filmbranche selber ausging. Eigentlich müssten auch die Filmförderer daran interessiert sein, mit uns über ein neues Modell nachzudenken. Wenn man sich aber die Verfestigung des Systems in den letzten zehn, fünfzehn Jahren anschaut, habe ich da wenig Hoffnung. Es gibt inzwischen mehr Leute, die sich um Förderung kümmern, als Leute, die wirklich kreativ und produktiv den deutschen Film voranbringen. Schon auf einer Diskussionsveranstaltung Mitte der Nuller-Jahre im Filmboard Berlin Brandenburg zum Thema Film und Marketing meinte Dagmar Rosenbauer: „Wenn ich mich so umschaue, sitzen hier mehr Leute, die den Film beraten, als Macher. Eine Branche, die mehr Berater und Förderer als Macher hat, die ist krank.“ Dem ist heute leider nichts hinzuzufügen, im Gegenteil, die Sache ist eher noch schlimmer geworden.

Ellen Wietstock:
Aber es werden doch so viele Regisseure, Autoren, Produzenten und Kameraleute an den zahlreichen Filmhochschulen ausgebildet, zu viele, wie einige Branchenteilnehmer meinen.

Martin Hagemann:
Die Frage nach der Ausbildung ist ein typischer Reflex auf die allgemein empfundene Krise nach dem Motto: „Wen kann ich bashen, ohne dass ich selber Federn lassen muss?“ Momentan wird eben auf den Klotz „Wir bilden zu viele Leute für den Filmbereich aus“ eingeschlagen. Letztes Jahr war es der Slogan: „Wir haben zu viele Filme!“ Richtig ist aber, dass wir nicht mehr oder weniger Filmhochschulen haben als vor zehn Jahren, und diese entlassen auch nicht mehr oder weniger Regisseure im Jahr in den Markt.

Wichtiger ist für mich, dass sich im Filmfördersystem eine Struktur etabliert hat, in der sich aufgrund der vielen selektiven Förderungen durch verschiedenste Gremien und durch die im FFG und den Förderrichtlinien festgeschriebenen Erfolgskriterien bestimmte „terms of trade“ und bestimmte „terms of decision“ entwickelt haben. Was soll das heißen? Erst mal das Positive: Die innovativste Entwicklung des deutschen Fördersystems war aus meiner Sicht die Einführung des DFFF, weil mit dem Automatismus vor der Produktion ein Paradigmenwechsel im deutschen Fördersystem vollzogen wurde. Diese Form der automatischen Förderung des DFFF sollten wir fortschreiben. Denn im jetzigen System sind die inhaltlichen Entscheidungen der Fördergremien für Produzenten letztendlich nicht wirklich nachvollziehbar. Momentan ist Filmförderung meist wie Lotterie, nur mit etwas besseren Chancen.

Vor allem die unabhängigen mittleren und kleineren Produzenten, das Gros der Branche, sind in unserem bisherigen Fördersystem entkapitalisiert worden. Dies passierte letztlich nur durch die in Europa ansonsten weitgehend unbekannten geforderten Eigenmittelanteile, die aufgrund des fehlenden heimischen Marktes (Lizenzen müssen im Normalfall zur Finanzierung verwendet werden) nicht mehr recoupt werden konnten. So sind die Produzenten letztendlich in eine Notlage gedrückt worden – das zeigen die aktuellen Studien der Produzentenallianz und der AG Dok. In dieser Notlage fallen dann Entscheidungen über das, was in Deutschland produziert wird, nicht mehr in den kreativen Produktionsfirmen, sondern in anonymen Fördergremien, in denen vor allem die Fernsehanstalten ihr Produkt mitfördern lassen. Die inhaltlichen Entscheidungen fallen darüber hinaus in den Verleihfirmen, in denen sich das Kapital der Branche heute befindet. Damit ist der player in der Branche an die Wand gedrückt worden, der bis vor 10-15 Jahren über die Inhalte entschied, allerdings auch immer das gesamte Herstellungsrisiko hatte. Der unabhängige Produzent, die Produzentin von heute hat im Prinzip nur noch das Herstellungsrisiko, lebt aus der Herstellung. Der Produzent fällt seine Entscheidung für ein bestimmtes Projekt danach, was in den Förderungen geht, was im Sender geht, vor allem aber sieht er zu, wie er am schnellsten wieder an cash flow kommt, weil er nur noch von cash flow zu cash flow hetzt. Das führt zu einer kreativen Stagnation. Auftragsproduktion allerorten.

Ellen Wietstock:
Wie ließe sich Bewegung in das starre Gebäude des Filmförderwesens bringen? Haben die Förderer überhaupt ein offenes Ohr für Veränderungen auf der Verwaltungs- und Entscheidungsebene?

Martin Hagemann:
Natürlich gibt es in jeder Institution ein Bedürfnis, die eigenen Arbeitsplätze zu sichern, das ist absolut verständlich. Auf der anderen Seite ist es leider so, dass diese Apparate, und da kann man mittlerweile das deutsche Förderwesen mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten vergleichen, zum Selbstzweck hin tendieren. Der DFFF setzt für die deutsche Filmbranche mit vier Mitarbeitern 70 Mio Euro um. Die FFA, die die gleiche Summe in der deutschen Filmwirtschaft einsammelt und an sie zurückgibt, arbeitet mit einem mehrfachen an Personal. Wenn wir dann noch die zahlreichen Länderförderungen dazu nehmen, kommt man auf schätzungsweise 300 Leute, die sich heute bundesweit um Filmförderung kümmern.

Ellen Wietstock:
Kommt der DFFF deshalb mit weniger Mitarbeitern aus, weil es sich bei den Fördermitteln um reine Subventionen handelt?

Martin Hagemann:
Das hängt sicher auch damit zusammen, aber es müssen auch keine Gremiensitzungen vorbereitet werden. Es gibt klare Bedingungen in einem Automatismus. Der Produzent weiß, wann er diese Bedingungen erfüllt hat, und wann es sinnvoll ist, einen Antrag einzureichen. Meines Wissens werden beim DFFF 95% der dort eingereichten Anträge auch gefördert. Bei den anderen Förderinstitutionen liegt diese Quote zwischen 10% und 30%. Das bedeutet, es sind bis zu 10mal so viele Anträge zu bearbeiten. Die Produzenten reichen ja auch in der Regel nicht in einem, sondern auf Verdacht auch gleich in mehreren Bundesländern ein. Bei einem Automatismus hätten wir weitgehend keine Gremien mehr. In der FFA gibt es zur Zeit für die verschiedenen Fördertöpfe inklusive Stellvertreter 280 Gremienmitglieder, alles honorige, verantwortungsvolle Freiwillige, keine Frage – für Produzenten aber ein Spiel, das jedes Mal von vorne losgeht und nicht einschätzbar ist.

Was muss sich ändern? Mir schwebt neben der Stärkung des Automatismus ein Fördersystem vor, in dem es eine stärkere Aufteilung zwischen wirtschaftlich geplanten und künstlerisch gedachten Projekten gibt. Wenn ich diese Idee vortrage, bekomme ich häufig zu hören, ich wäre ja nur auf eine Daueralimentierung der Produzenten aus. Diesen Vorwurf kann ich nicht ernst nehmen. Automatisierung bedeutet, dass sich die Produzenten stärker transparenten Kriterien stellen müssen, wenn sie die Autonomie in der Entscheidung über ihre Stoffe und Filme wiedererlangen wollen. Das soll heißen: Wenn ich als Produzent Förderung von bis zu 50%, teilweise bis zu 80% für einen Film erhalte und diese Förderung für einen kommerziell oder kulturell gedachten Film einsetze, muss ich doch zeigen, dass ich einen bestimmten Betrag wieder zurückzahlen kann, dass ich bestimmten kulturellen Erfolgskriterien auch genüge. Da jeder weiß, dass dies im Filmgeschäft nicht unbedingt gleich mit einem Film gelingt – das gelingt auch Hollywood nicht – ginge es um Verpflichtungen für ein Portfolio, bzw. für mehrere Filme in mehreren Jahren. Die Produzenten, die sich entscheiden, kommerziell zu arbeiten, können beispielsweise drei bis fünf Filme innerhalb des Automatismus produzieren. Innerhalb dieses Zeitraums, dieser Anzahl von Filmen müsste es dann aber gelingen, zumindest für einen oder zwei Filme die Fördersumme zurückzuzahlen. Gelingt dies nicht, scheidet man aus dem Automatismus aus.

Wer Filme produzieren will, die auf künstlerische Kriterien zielen, orientiert sich dementsprechend an einem Kriterienkatalog, der aus kulturellen Kriterien und anderen box-office-Erwartungen bestehen würde. Die FFA hat ja schon im Rahmen der Referenzfilmförderung einen Punktekatalog entwickelt, der zum Beispiel Festivalteilnahmen, Auszeichnungen etc. berücksichtigt. Es sollten noch weitere Kriterien hinzukommen, zum Beispiel, was in der Öffentlichkeit für kulturell wichtig und künstlerisch erfolgreich gehalten wird, was gesellschaftlich gewollt ist, welche speziellen Genres (Dokumentarfilm, Kinderfilm) besonders gefördert werden sollten etc.. Soll heißen: Wer über diese automatische Förderung künstlerisch wertvolle Filme finanziert bekommt und es in fünf Jahren nicht einmal schafft, im Wettbewerb eines A-Festivals aufzutauchen oder z.B. bundesweit in den Schulen gespielt zu werden, hat offensichtlich seinen Job nicht verstanden. Dann müsste auch er oder sie aus der automatischen Förderung ausscheiden. Das wäre ja kein Berufsverbot, er könnte fürs Fernsehen arbeiten, sie kann kommerzielle Filme machen oder die Projekte könnten anderweitig finanziert werden. Nur wenn wir uns als Produzenten diesem Risiko stellen, müssen wir auch die Entscheidungsgewalt über die Inhalte und Formen der Filme, mit denen wir ins Risiko gehen, zurückerlangen.

Ellen Wietstock:
Noch einmal zu den Rückflüssen. Meines Wissens zahlen selbst die großen Produktionsfirmen von erfolgreichen Filmen sehr selten Fördergelder zurück.

Martin Hagemann:
Ich habe keinen genauen Überblick über die Höhe der Rückflüsse bei den deutschen Förderungen. Wir brauchen nicht nur Transparenz bei den Sendern, wie sie zur Zeit von der Produzentenallianz und der AG Dok gefordert wird, sondern wir brauchen auch Transparenz bei den Förderungen, weil es sich auch dort um öffentliches Geld handelt. Wer wie viel Förderung bekommt, lässt sich noch nachvollziehen; teilweise ist aber nicht mehr erkennbar, was ist Referenzfilmförderung, was kommt aus dem Topf mit „frischem“ Geld. Welcher Produzent wie viel zurückzahlt, ist überhaupt nicht bekannt. Die derzeitige Rückzahlungsquote, die von den Förderern immer etwas nebulös mit „auf jeden Fall unter 5%“ angegeben wird, müsste sich deutlich steigern lassen.

Dass wir zur Zeit trotz 20% Marktanteil so wenig Rückflüsse haben, liegt meiner Meinung nach an der Förderstruktur der deutschen Filmbranche und einigen vertikal aufgestellten Firmen und Konzernen. Wir haben auf der einen Seite die Produzenten, auf der anderen die Verleiher und anderen Verwerter. Die Verleiher sind die kapitalstärksten Player am Markt. Sie können relativ hohe Minimumgarantien zahlen und kommen für die Verleihvorkosten auf. Sie verdienen vorrangig die Minimumgarantien und die Verleihvorkosten aus allen Einnahmen vorab zurück. Während sie diese Kosten zurückverdienen, zweigen sie aber als erstes bereits ein gutes Drittel der Erlöse als ihr Honorar ab. So bietet es sich für die Verleihfirma an, laufend die Verleihvorkosten zu erhöhen, mit verschiedenen Verwertungsstufen zu „crossen“ oder gar mit anderen Filmen zu verrechnen. So werden alle Kosten an den Produzenten weitergereicht, bis der Film endgültig beim letzten Zu- schauer angekommen ist, ohne dass der Produzent auch nur einen Euro verdient hat. Er bleibt damit auf seinen Eigenmitteln, seinem Investment sitzen.

Die einzigen „Produktionsfirmen“, die diese „terms of trade“ zum eigenen Nutzen voll und ganz ausschöpfen können, sind die vertikal aufgestellten Firmen und Konzerne, die über die Produktionsfirmen Förderung bekommen, keinen Gewinn machen, aber in den Verleiharmen diese Gewinne realisieren. So kommt es selbst bei Besuchermillionären vor, dass kein Cent an die Produzenten zurückfließt. Das heißt, man bekommt als Produktionsfirma Produktionsförderung, der Verleih macht aber letztendlich die Gewinne, und dadurch kann bzw. braucht der Produzent nur wenig oder gar nichts an die Förderung zurückzuzahlen. Das wissen die Förderer, sie kennen die Zahlen, aber sie legen sie nicht offen, weil sie diese starken Firmen und Konzerne – um des hohen Marktanteils dieser Firmen willen – meinen, schützen zu müssen. So das immer wieder gehörte Argument. Das ist für mich aber keine Begründung, sondern eher eine Offenbarung. Wenn eine Firma mit erfolgreichen Filmen Jahr für Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag an Förderung bekommt und nicht in der Lage ist, wenigstens während eines Zeitraums von fünf Jahren einen Jahresförderbetrag zurückzuzahlen, dann wird hier schlichtweg öffentliches Geld privatisiert.

Ellen Wietstock:
So lässt sich das Filmfördersystem auch beschreiben – die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert. Wo wäre denn am ehesten eine Bereitschaft zur Umstellung auf eine automatisierte Förderung anzutreffen, vielleicht bei der FFA?

Martin Hagemann:
Nein, die FFA ist seit fünf Jahren aufgrund der Klage durch einige Kino-/Verleihketten bewegungsunfähig. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Das Verfassungsgericht entspricht der Klage, und dann ist das deutsche Fördersystem so oder so am Ende angelangt. Sollte aber, womit eigentlich viele rechnen, der Klage widersprochen werden, dann wäre das FFG bestätigt. Kulturstaatsminister Neumann hat dankenswerterweise die nächste Novelle zum FFG nur auf drei Jahre angelegt. Meiner Meinung nach könnten wir jetzt schon mit punktuellen Reformen anfangen, um nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Fördersystem komplett neu aufzustellen. Da von dem FFG auch immer ein starkes Signal in Richtung der Länder ausgeht, wäre zu hoffen, dass die nächste FFG- Novelle eine wirkliche Novelle wird, an der alle von Grund auf mitarbeiten.

Dabei sollte es erst einmal um die Finanzierung der bundesweiten Filmförderung gehen. Zum Beispiel wird von Seiten der klageführenden Kino- und Verleihketten in der Klageschrift explizit aufgeführt, sie seien gar nicht am deutschen Film und am Arthouse-Kino interessiert. Vielmehr sei ihr Publikum ausschließlich am Entertainment interessiert. Meine Frage lautet dann aber: Warum wird in solchen Kinos eine Mehrwertsteuer von nur sieben Prozent erhoben? Warum wird die Mehrwertsteuer nicht erhöht? Einen Teil dieser Mehreinnahmen könnte man an das Finanzministerium zurückgeben – als Kompensation für den DFFF. Einen wesentlich größeren Teil könnte man für die Förderung der sogenannten Kriterienkinos nehmen, die für die Versorgung in der Fläche wichtig sind. Sie erhielten – ähnlich wie in Frankreich – einen Zuschuss aus diesen Mehreinnahmen für das Abspiel deutscher Filme – dies als Kompensation für die erhöhte Mehrwertsteuer, der Rest wäre genug, um die jetzige Produktionsförderung der FFA aufrechtzuerhalten – ohne Abgaben. So wären alle Kinos – auch die Entertainment-Ketten von der Abgabe befreit und die FFA wäre ihre lähmen- den, unproduktiven Streitigkeiten los und könnte sich voll und ganz auf die Produktions- und Verleihförderung konzentrieren.

Auch die Fernsehanstalten wären dann von einer Abgabe befreit, ihre Beteiligung an den Gremien wäre nicht mehr vonnöten. Nun behaupten die öffentlich-rechtlichen Sender ja auch aktuell, dass sie gar nicht mehr an Kino-Coproduktionen interessiert seien. Hier ist deshalb die Politik dringend gefordert. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kann sich nicht per Selbsterklärung aus dem deutschen Kinofilm verabschieden, der gemäß mehrerer Urteile zur Grundversorgung gehört. M.E. müssen die Sender über eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrages schnellstmöglich verpflichtet werden, sich an der Verbreitung deutscher Kinofilme nach der Kinoauswertung zu beteiligen, wie das in Italien, Spanien und Frankreich schon lange der Fall ist. In diesen Ländern fließen zwei bis drei Prozent des Haushalts der öffentlich-rechtlichen Sender in den einheimischen Kinofilm. Ein nachahmenswertes Modell: Die Programmhoheit würde gewahrt, indem das Ganze als Lizenzankauf funktioniert. Es müssten allerdings auch Sendeplätze dafür geschaffen werden. Das wäre ein wichtiger Beitrag der öffentlich-rechtlichen Sender – und für den Kinofilm wesentlich sachdienlicher als die jetzige im europäischen Vergleich minimale Beteiligung der Sender an den Förderungen und damit in den Gremien.

Ellen Wietstock:
An wen wendet sich die Branche mit diesen vernünftigen Vorschlägen, wie Du sie jetzt gerade formuliert hast?

Martin Hagemann:
Die Politik vertritt noch gegenüber der Filmbranche die Meinung: Glaubt ja nicht, dass wir Eure Hausaufgaben machen. Ich halte das für einen Fehler. Das ist das „Modell Deutschland“, Stichwort „Sozialpartnerschaft“, „Solidargemeinschaft“ etc. aus den 70er Jahren, der Zeit, aus der die meisten Förderstrukturen ja auch stammen. Wir leben inzwischen aber in einem wesentlich stärker ökonomisierten, unmoralischeren Geschäftsumfeld als noch vor zwanzig Jahren. Die Solidarität zwischen Produzenten und Verwertern war immer diffizil, wenn nicht prekär, sie hat sich in den letzten Jahren leider nur noch zum Nachteil der Produktionsfirmen ausgewirkt. Aber die Verwerter sind nicht die Hauptfinanziers des deutschen Kinofilms, 47% der Finanzierung der deutschen Filme kommt von der Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit wird repräsentiert durch die Politik. Das heißt, die Politik ist aufgefordert, zu handeln.

Ein Beispiel: In England, Holland und Österreich ist das Problem der Unterkapitalisierung der Produzenten von der Politik begriffen worden. Das British Film Institute hat mit Übernahme der englischen Förderung als allererstes einen obligatorischen Korridor „from the top“ für Produzenten eingeführt. Wenn in England Gelder aus dem „tax shelter“ mit Förderungen des British Council kombiniert werden, haben diese Förderungen gleichen Status im recoupment, und zwar zugunsten des Produzenten. In Österreich ist gerade ein Mindest-Fünf-Prozent-Korridor für die Produzenten „from the top“ jeder Einnahme, jeder Verwertung, eingerichtet worden. Natürlich kann jeder Ver- werter seine Vorkosten vorrangig zurückspielen, aber sobald er anfängt, Honorare zu beanspruchen, muss ein Korridor für Produzenten eingeräumt sein. Die deutschen Förderer und die deutschen Solidargremien in der FFA sind für solche Fragen nicht zu haben. Man bekommt bei solchen Diskussionen als Antwort, die Förderer wären nicht dazu da, in den Markt einzugreifen und die „terms of trade“ zu kontrollieren. Ich frage mich nur, wer vertritt dann die fast 50%-ige Finanzierung deutscher Filme eigentlich in Verhandlungen? Die Produzenten können es nicht, weil sie sich aufgrund ihrer Unterkapitalisierung- und der cash-flow-Problematik in einer umfassenden Abhängigkeit von den Förderern, den Verwertern und den Sendern befinden. Deshalb sind wir auf die Politik angewiesen und müssen diese Probleme der ungerechten „terms of trade“, der Unterkapitalisierung und der fehlenden Entscheidungsgewalt über unsere Filme auch mit der Politik zusammen angehen.

Ellen Wietstock:
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten sind nervös. Jetzt wird die neue Haushaltsabgabe damit begründet, dass sie auch dazu beiträgt, dass Deutschland zu Oscar-Ehren kommt. Es gibt den Vorschlag der AG Dok, ein bis zwei Prozent der Haushaltsabgabe für Projekte von unabhängigen Filmemachern und für Verwertungsplattformen zu verwenden, denn öffentlich-rechtliches Fernsehen muss nicht zwangsläufig ARD und ZDF heißen. Nach welchen Kriterien sollte Deiner Meinung das Geld dann verteilt werden?

Martin Hagemann:
Es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender viele Leute, die gerne etwas ändern möchten, es gibt viele Ideen auf der Programmseite, auf der Distributionsseite, wie und auf welchen Kanälen, Fernsehen in Zukunft stattfinden kann. Es gibt aber auch hier das Schwergewicht der Bürokratie – die Sender nähern sich langsam, aber sicher dem Zustand der Sowjetunion kurz vor Gorbatschow. Wer aber ist der Gorbatschow der öffentlich-rechtlichen Sender? Auch hier ist die Politik gefordert. Glücklicherweise ist die Politik nicht mehr so abhängig vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wie noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Da wären überhaupt keine Diskussionen möglich gewesen. Kleine Schritte passieren in den Rundfunkänderungsstaatsverträgen, nur haben die dort geforderten „terms-of-trade“-Verhandlungen mit den Sendern wenig reale Verbesserungen gebracht. Die Verhandlungen fanden nur deshalb statt, weil die Staatskanzleien in einer Protokollnotiz des letzten Vertrags festgelegt haben, dass die Sender zu Verhandlungen über faire „terms of trade“ verpflichtet sind. Die Produzentenallianz und die Drehbuchautoren haben einen Abschluss verhandelt. Aber niemand außerhalb dieser beiden Verbände kann wirklich feststellen, welche Verbesserungen es in der Substanz gibt. Die AG Dok hat meiner Ansicht nach deshalb zu Recht diese Verhandlungen abgebrochen. Es ist sehr wichtig, dass die Politik diese Fußnote im nächsten Vertrag bestätigt und nicht herausnimmt, wie vom Fernsehen momentan gefordert.

Wenn wir in Deutschland eine lebendige, zeitgenössische, audiovisuelle Medienstruktur inklusive einem starken Kino, einem starken öffentlich-rechtlichen Fernsehen und einem inhaltlich interessanten Internet haben möchten, darf man nicht darauf vertrauen, dass Förderer und Sender sich selber reformieren werden. Hier müssen die Verbände stärker und massiver auftreten. Ich hoffe, dass es der stärksten deutschen Produzentenvereinigung, der Produzentenallianz, fünf Jahre nach Gründung endlich gelingt, ihre inneren Widersprüche zwischen Kinoproduzenten, Fernsehproduzenten, Sendertöchtermitgliedern, Konzernmitgliedern und unabhängigen Produzenten zu thematisieren und für alle eine Strategie zu entwickeln, die gemäß des eigenen Anspruchs der gesamten Branche nützt. Mir geht es hier nicht um Schuldzuweisungen, es geht vielmehr darum, dass endlich alle unterschiedlichen Kräfte und Verbände dieser für unser Gemeinwesen wichtigen, aber doch überschaubaren Branche sich endlich den Herausforderungen der komplett neuen Medienzeit gemeinsam stellt.

Wir stehen mit der Digitalisierung an einer Zeitenwende. Die öffentlich-rechtlichen Sender verwalten rund 7,5 Milliarden Euro, ein ungeheuer hoher Betrag. Zusammen mit den fast 400 Mio. Euro Filmförderung und der Phantasie und der Erfahrung all derer, die an der Verbesserung des deutschen Kinofilms, des deutschen Fernsehens und der Erschließung des Internets interessiert sind, müsste sich doch ein zukunftsfähiges Medienmodell für Deutschland entwickeln lassen. Oder sind wir schon so zynisch und der Meinung, dass nur das viele Geld die guten Ideen verhindern würde. Nein, es sind die jetzigen Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ich kann dem Zynismus überhaupt nicht folgen, dass etwas Gutes nur aus Armut und Mangel entstehen kann.

Es gibt den Vorschlag der AG Dok, aus den sicherlich fließenden Mehreinnahmen der Haushaltsabgabe 10% für eine öffentlich-rechtliche Internetpräsenz zu verwenden – Filme, Nachrichtensendungen, Entertainmentformate. Die Fragen, wie das Geld verteilt wird, ob es dort Rückflüsse gibt, ob diese an den einzelnen Unternehmer oder in das System zurückfließen, will die AG Dok gerne diskutieren, wenn eine breite Koalition aus Politik, Fernsehen, Produzenten und Kreativen einen solchen Vorschlag prüft. Aber mit dem Verweis auf mögliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung einen solchen Vorschlag schon von Anfang an zu diskreditieren, finde ich ignorant.

2015-01-09T21:05:56+02:009. Januar 2015|

Beruf: Regisseurin

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 213, Februar 2013

Von Ellen Wietstock

Lang, lang ist es her: Vor über 30 Jahren setzten sich in Berlin Frauen aus allen Bereichen der Filmbranche zusammen, gründeten den Verband der Filmarbeiterinnen und forderten 50% aller Filmfördermittel für Frauen sowie eine geschlechterparitätische Besetzung der Fördergremien. Eine Forderung des Verbandes – nämlich 50% aller Gremiensitze für Frauen – hat sich nahezu erfüllt (siehe black box Nr. 215, Januar 2011). An der Spitze zahlreicher Filmförderinstitutionen stehen Frauen (Petra Müller in Nordrhein-Westfalen, Kirsten Niehuus in Berlin-Brandenburg, Gabriele Röthemeyer in Baden-Württemberg, Eva Hubert in Hamburg-Schleswig-Holstein, Maria Wismeth in Hessen, Sabine Matthiesen in Mecklenburg-Vorpommern). Und dennoch: Im August 2012 vergab die FFA 4,5 Mio. Euro Projektförderung für 17 Kinofilme, die ausschließlich von Männern realisiert werden. Im September 2012 förderte die Film- und Medienstiftung NRW 30 Projekte mit 5,4 Mio. Euro, bei denen ausschließlich Männer Regie führen. Einzelfälle?

Woanders ist es auch nicht besser, selbst im stets von der deutschen Filmbranche beneideten Frankreich gab es Diskussionsbedarf. Im vergangenen Jahr brandete die Debatte über die mangelnde Präsenz von Frauen wieder auf, als das ohnehin männerdominierte Cannes es tatsächlich schaffte, einen Wettbewerb mit 22 Filmen ohne einen einzigen Film von einer Regisseurin zusammen zu stellen. Der Programmverantwortliche von Cannes, Thierry Frémaux, reagierte auf die Protest-schreiben mit dem bekannten Argument, man würde ja gerne, aber es habe halt keine geeigneten Filme von Regisseurinnen gegeben. Damit blieb das größte Festival der Welt seinem Stil treu – schon zu seinem 60. Jubiläum versammelten sich 60 Regisseure des Weltkinos zu einem Gruppen-bild mit Dame: Jane Campion, die einst für Das Piano die Goldene Palme erhielt, war the One and Only unter 60 Männern.

Zurück zur deutschen Filmlandschaft: Woran liegt es, dass relativ wenige Regisseurinnen an den Fördergeldern für große Kinofilme partizipieren, obwohl sich die Frauenquote an den deutschen Filmhochschulen sehen lassen kann. Die Berliner Film- und Fernsehakademie DFFB beispielsweise bildete von 1990 bis 2006 144 Frauen und 171 Männer für die Filmbranche aus. An der Filmaka- demie Baden-Württemberg in Ludwigsburg liegt der Frauenanteil zur Zeit bei rund 30%: Von insgesamt 128 Regiestudenten (für alle Studienschwerpunkte) des Wintersemesters 2012/2013 sind 47 weiblich. Im Bereich Regie/Spielfilm werden 43 Studierende ausgebildet, darunter sind 14 Frauen. Auf eine Frauenquote von rund 35% im Bereich Regie/Spielfilm kommt auch die Hoch- schule für Fernsehen und Film in München. Ähnlich sieht es in Potsdam aus: Die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf verzeichnet im Studiengang Regie für die letzten Jahre einen Frauenanteil in gleicher Höhe.

An den Zugangsvoraussetzungen zur Aus- und Weiterbildung kann es offenbar nicht liegen, dass es nur wenige Regisseurinnen gibt, die kontinuierlich für das Kino arbeiten. Was geschieht also auf dem Weg von den Filmhochschulen in die real existierende Filmbranche und wie geht es nach dem Debütfilm weiter? Gibt es nach Auffassung der Vergabekommissionen nur wenige förderungswürdige Projekte von Regisseurinnen? Bevorzugen Frauen ganz bewusst kleinere, überschaubarere Budgets, kalkulieren und beantragen sie deshalb weniger Fördermittel? Trauen Produzenten und Produzentinnen den Frauen nur selten den Umgang mit dem großen Geld zu? Um diese Fragen zu beantworten, wären Erfahrungsberichte von Filmemacherinnen hilfreich, die den langen Gang durch Förderinstitutionen beschreiben. Wir beginnen mit den Fakten: In den folgenden Ausgaben der black box werden die Förderentscheidungen der FFA, des BKM und der Länderförderungen im Mittel-punkt der Untersuchung stehen.

2021-05-07T18:00:43+02:009. Januar 2015|

Alle Macht den Künstlern

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 226/2012

Alle Macht den Künstlern

Ein Gespräch über Aus- und Weiterbildungsangebote für den Nachwuchs mit Sabine Matthiesen von der Kulturellen Filmförderung in Mecklenburg-Vorpommern sowie den beiden Regisseuren und Drehbuchautoren Jens Becker und Alfred Behrens, die beide als Professoren an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Babelsberg tätig sind.

Ellen Wietstock:
2011 starteten 182 deutsche Filme auf dem Kinomarkt. Es gibt Branchen-Teilnehmer, die bereits von Überproduktion sprechen. Welche Ziele verfolgt Ihr mit Eurem Weiterbildungsprogramm und welche Haltung vermittelt Ihr den Teilnehmern?

Alfred Behrens:
Wir starten unser neues Programm Babelsberg plus mit Leuten, die schon Berufserfahrung haben. Zu uns kommt die Regie Autorin, die am Leipziger Literaturinstitut Schriftstellerin geworden ist und anschließend an die Columbia University in New York gegangen ist, um dort Filmregie zu studieren. Sie bringt ihre Produzentin aus Belgrad mit. Zu uns kommt der dffb Regisseur, der nach mehreren Dokumentarfilmen sein erstes Spielfilm-Drehbuch schreiben will. Zu uns kommt die Verlags Lektorin aus Rostock, die ein Web Movie schreiben will. Zu uns kommt der Leipziger Stückeschreiber, der bei seinem fünften Hörspiel selbst Regie führen will, weil er weiß: Bei uns kann er ein Demo-Tape produzieren. Zu uns kommt die Kamerafrau, die vor zwei Jahren angefangen hat zu schreiben. Zu uns kommt die Musikerin, die jetzt einen Musikfilm machen will, ein musikalisches Hörspiel. Zu uns kommt der junge Bühnenverleger und Medien-Agent, weil er ein Drehbuch schreiben möchte.
Zu uns kommt die Regie-Autorin, die an einem Film über die Schriftstellerin Ilse Aichinger arbeitet, der schon halb fertig ist. Sie bringt ihre Cutterin mit, weil sie bei uns dramaturgisches Feedback erhalten.

Zur Frage nach unserer Haltung: Wir verschweigen nicht, dass wir den andauernden neo-liberalen „Klassenkampf von oben“ ablehnen. Wir verschweigen nicht, dass wir der Ansicht sind, dass der Kapitalismus ein zweites Mal gezähmt werden muss. Wir verschweigen nicht, dass wir die allumfassende Ausrichtung des Duopols ARD/ZDF auf totale Massenattraktivität, auf die Diktatur der Quote ablehnen. Wir sagen: Am Drehbuch für Bretton Woods II würden wir mitschreiben. Wir sagen: Die Reduktion einer Vielzahl von Förderinstitutionen auf die Funktion „Cash Cow für den Landeshaushalt“ muss revidiert werden. Wir sagen: Die Auslieferung ganzer Studentengenerationen an einen unregulierten Markt muss beendet werden. Ich könnte hinzufügen: Die Filmhochschulen müssen wieder Orte der Kulturellen Alterität werden, Schauplätze des Ganz Anderen, Spielplätze zur Herstellung von Erzählwerken, denen der Anspruch innewohnt, „ästhetische Gebilde und damit gestaltete Wahrheit zu sein“ – Originalton Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, L.A. 1944.

Sabine Matthiesen:
Mit der Regiewerkstatt möchten wir den Talenten im Lande eine professionelle Weiterbildung ermöglichen. Es gibt ja keine Hochschule in Mecklenburg-Vorpommern. Das Besondere an unserer Werkstatt ist zum einen, dass sie sehr praxisorientiert ist. Die Teilnehmer können sich ausprobieren und in einer Art Klausursituation die auf dem Gelände der Kulturellen Filmförderung befindlichen Kameras und Schnittplätze nutzen. Heute rackern sich Studenten an Plänen ab und können kaum noch über die kreative Seite ihrer Arbeit nachdenken. Zum anderen wollen wir unseren Teilnehmern ein Bewusstsein dafür vermitteln, dass man auch unabhängig arbeiten kann, nicht immer nur in Senderformaten denken und das Fernsehen als Auftraggeber im Auge haben muss. Mir ist wichtig, dass an der Drehbuchwerkstatt auch talentierte Leute aus Mecklenburg Vorpommern teilnehmen, deren Projekte noch nicht gefördert werden konnten.

Jens Becker:
Einige unserer Teilnehmer sind Absolventen der Filmhochschulen in Potsdam, Ludwigsburg, Dort¬mund und Köln. Und die treffen bei uns auf Quereinsteiger, die spät ihre Lust auf das Schreiben entdecken und davon auch nicht leben müssen, von Beruf Sozialarbeiter oder Grafiker sind. Einigen fehlen handwerkliche Basics, andere haben eine ausgeprägte künstlerische Handschrift und suchen nur Unterstützung während der Praxis des Schreibprozesses. Die bieten wir an, denn auch gestandene Autoren brauchen eine dramaturgische Beratung, weil man dem eigenen Stoff gegen¬über immer betriebsblind ist. Seminarteilnehmer mit einem großen Fachwissen sitzen also anderen gegenüber, die noch wenig wissen und nur aus dem Bauch schreiben, aber unter Umständen eine ganz frische Sicht haben. Altersmäßig ist die Runde sehr durchmischt, von Mitte 20 bis Ende 50, und die haben sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenserfahrungen durchaus etwas zu sagen.

Ellen Wietstock:
In der Branche tummeln sich zahllose Ausbilder, ehemalige Förderer betätigen sich als Consultants – der Aus- und Weiterbildungsmarkt ist riesig. Könnt Ihr als Lehrende noch guten Gewissens weitere Leute auf den Markt „loslassen“, von dem wir alle wissen, dass es sich um einen Subventionsmarkt handelt?

Jens Becker:
Subventionen sind meiner Meinung nach nichts Anrüchiges. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Wertschätzung. Müssen wir uns soviel Kultur leisten, wird ja momentan heftig diskutiert. Ich stelle mal die Gegenfrage: Müssen wir uns leisten, dass Wirtschaft subventioniert wird? Gerade regt sich die Solarenergiebranche auf, weil sie nicht mehr mit 50% subventioniert wird. Das ist politischer Wille gewesen, auch die Tourismusbranche wird subventioniert. Warum also nicht Kultur? Es gibt kaum noch einen Bereich des öffentlichen Lebens, der ohne Subventionen leben könnte. Und so ist es im Filmbereich auch. Die gesamte europäische Filmkultur wäre ohne Subventionen tot. Zurück zum Nachwuchs: Das Problem ist in der Tat der besetzte Markt. Selbst sehr gute Talente haben Mühe, ihren Platz, ihre kleine Marktlücke zu finden. Wir könnten an der HFF Konrad Wolf jährlich zehn Studenten im Studiengang Drehbuch/Dramaturgie aufnehmen, tun es aber nicht, sondern be-schränken uns in der Regel auf acht, weil uns nicht mehr Bewerber künstlerisch überzeugen. Weiterbildungsseminare sind jedoch etwas ganz anderes, das ist ein anderes Interessentenfeld. Es geht darum, ohne Druck zu experimentieren, Handschriften auszuprobieren, Genres und Formate kennen zu lernen, gemeinsam Erfahrungen zu sammeln, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Den verän¬derten Rezeptionsbedingungen tragen wir Rechnung, indem unsere Werkstätten in Babelsberg und in Wismar erst einmal offen sind für jede Art von Geschichten. Wir vermitteln parallel das Hand-werkszeug für Spiel- und Dokumentarfilme und streben immer Crossmedia-Verbindungen an. Am Anfang muss einfach eine gute Geschichte stehen, ob fürs Kino, fürs Fernsehen oder für Neue Medien, ist zunächst mal egal.

Alfred Behrens:
Wir wollen die Teilnehmer natürlich nicht ins Leere laufen lassen. Wir möchten Talente ins Kino, ins Fernsehen, ins Radio und ins Web bringen. Wir wollen, dass das Erzählen wieder als Kunst verstanden wird und dass nicht jeder Absolvent, bevor er überhaupt anfangen kann, seinen ersten Film zu machen, 13 Marketing-Szenarios schreiben und dann auch noch ein Cash Reflow-Horoskop erstellen muss. Der ganze Betrieb weiß, dass das nur Sandkasten-Spiele sind, unterfüttert mit Antrags-Prosa – trotzdem müssen diese phantasmatischen Texte verfasst werden. Wir wollen, dass die totale Ökonomisierung der ganzen Gesellschaft, die uns als Filme-Machern verkauft worden ist unter dem Un-Wort „Filmkulturwirtschaft“ – wir wollen, dass diese Fehl-Entwicklung korrigiert wird. Der Reduktion der Kultur auf die Funktion „Wirtschaftsfaktor“ im Marketing-Mix der Stand¬ortpolitik muss gegengesteuert werden. Wir brauchen wieder mehr kul¬turelle Filmförderung. Als wir uns damals auf die berühmten „Socken“ gemacht haben, zuerst in Hamburg und später dann im ganzen West-Land – da ging es um unabhängiges Filme-Machen, um Independent Storytelling. Danach kam die Orwellianische NewSpeak-Vokabel „Kulturwirtschaft“ und alles wurde wieder plattgemacht. Was wir heute auf der To Do-Liste haben, das kann ich mit einem einzigen Wort sagen, mit einem einzigen Satz: Rollback! Alle Macht den Künstlern! Vielleicht brauchen wir eine „High Commission On Fees And Exploitation“, europa-weit? Wir brauchen einen New Deal.

Ellen Wietstock:
Stichwort Kulturinfarkt: In diesem hoch umstrittenen Buch ist auch von einem Missverhältnis zwischen Fördermitteln und Verwaltungskosten die Rede. Handelt es sich bei der Entscheidung, nur Fördermittel in Höhe von rund 100.000 € in neue Projekte zu investieren, und den Rest für strukturelle Maßnahmen auszugeben, um eine bewusste Entscheidung?

Sabine Matthiesen:
Meiner Meinung nach kann man gar nicht genug Kultur fördern. Die Kulturelle Filmförderung in MV vergibt im Jahr 215.000 €; wir könnten mehr Mittel in kreative und kulturell anspruchsvolle Projekte geben, die Anträge dafür erhalten wir in jedem Jahr zahlreich dazu. Und dabei ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Projekte in MV umgesetzt werden, diese Mittel in die filmische Infrastruktur fließen. Dazu trägt unsere Einrichtung in hohem Maße bei, und dazu zählen auch die Weiterbildungsangebote auf diesem hier beschriebenen Niveau. Unsere Aufgabe ist es, den Kreativen den Rücken zu stärken, sie selbstständiger zu machen, sie zu ermutigen, den Film zu realisieren, sich auch nicht von Mitteln eines TV-Senders abhängig zu machen. Durch die neuen Vertriebswege und das Internet gelingt dies bereits sehr gut, da entwickeln sich erste Parallelstrukturen, die Entwicklungen sind sehr schnell, dies müssen auch TV-Sender im Blick behalten. Wir fördern wesentlich die Struktur und die Ausbildung in MV, es ist schon sehr ärgerlich, wie gerade erst geschehen, wenn die renommierten Filmhochschulen den Bewerbern, die aus Mecklenburg-Vorpommern kommen, zu verstehen geben, dass dort eigentlich kein Film stattfindet und in Frage gestellt wird, dass man ausgebildet wird. MV ist kein Filmland, da stimme ich zu; es wird aber für Dreharbeiten sehr gern genutzt, und genau da setzen wir an, helfen, die Struktur weiter aufzubauen, damit Produzenten und Medienarbeiter im Land bleiben können.

Alfred Behrens:
Unsere Arbeit ist vor allem auch deshalb wichtig, weil das Duopol ARD und ZDF seiner Aufgabe nicht mehr nachkommt, filmische Erinnerungsarbeit zu leisten, das mediale Erzählen weiterzuent¬wickeln. Es gibt inzwischen Sende-Anstalten, die keinen einzigen Essayfilm, keinen einzigen Expe¬rimentalfilm mehr produzieren. In den 1970er Jahren gab es noch Redaktions-Türen mit der Auf¬schrift . Das waren Werkstattredaktionen, in denen man lernen konnte, einen Film zu machen. Leute wie beispielsweise Gabriele Röthemeyer und Horst Königstein haben dort in Hamburg-Lokstedt gelernt, Heinrich Breloer hat in der Redaktion Weiterbildung des NDR viele Jahre lang Dokumentarfilme gemacht, und so einen kontinuierlichen Lern-Prozess durchlaufen – bevor er sich in den Spielfilm gewagt hat. Die ARD hatte damals informelle Filmwerkstätten in ihren Häusern. Produktionszusammenhänge, die keiner Quote unterworfen waren. Heute müssen wir das öffentlich-rechtliche Defizit ausgleichen, weil das Duopol seinem Kulturauftrag, seinem Gesellschaftsauftrag und auch seinem Bildungsauftrag nicht mehr nachkommt. Ich plädiere für einen „Forschungs-Cent“ von der neuen Haushaltsabgabe, der Filmhochschulen, Kunsthochschulen und Universitäten ermöglichen würde, Indie-Radio, Indie-TV, Indie-Webcontent zu produzieren und zu verbreiten.

Ellen Wietstock:
Einerseits ist die deutsche Förderlandschaft ein Eldorado für den Nachwuchs, andererseits wird er gnadenlos ausgebeutet. Die Privatsender wollen Filme mit Absolventen herstellen, in denen Schau¬spieler ohne Gagen mitarbeiten sollen. Die öffentlich-rechtlichen Sender machen’s nicht so deutlich, aber da wird auch mal gern das Honorar runtergehandelt mit dem Argument, man erhalte doch die Chance, etwas zu produzieren. Könnt Ihr diese Tendenz bestätigen?

Alfred Behrens:
Leider ja. Die Sender versuchen, auf Kosten der Regisseure, der Autoren und der Schauspieler, auf Kosten der Mitarbeiter aller Gewerke alle Honorare zu drücken. Besonders deplorabel: Diese Praxis wird inzwischen auch von anderen Institutionen der Kulturlandschaft gehandhabt. Wir müssen Dumping-Löhne und permanente Verletzungen der Arbeitszeitordnung hinnehmen, weil die gigan¬tomanischen Fehler der Finanzindustrie korrigiert werden müssen. Unsere Hörer und Zuschauer in der Region B-B müssen Qualitätsverluste im Programm hinnehmen, weil über die permanent sich verschärfenden Etat-Einsparungen die katastrophalen Fehler der Bruch-Piloten korrigiert werden müssen, die nicht in der Lage waren, einen etwas größeren Flughafen zu bauen – termingerecht schlüsselfertig, ohne Nachtrags-Haushalte.

Jens Becker:
Nach meinen Beobachtungen verlagert sich das Interesse insbesondere von jungen Leuten immer mehr auf die neuen Kommunikationsmittel. Selbst ich lese keine Printausgaben von Tageszeitungen mehr, sondern nutze Nachrichten- Apps im IPhone. Andererseits besteht der große Traum vieler Filmstudenten weiter, einen Film im Kino auszuwerten – dabei ist das Internet so viel präsenter. Im Kino sind selbst gute Filme oft schon nach einer Woche aus dem Programm verschwunden, aber in der Netzwelt finden die erzählerischen Abenteuer statt. Es gibt nur einen einzigen Nachteil: Man kann im Netz noch kein Geld verdienen. Jedenfalls kaum mit Filmen und auf legale Weise.

Ellen Wietstock:
Unabhängige Filmemacher und Produzenten verdienen mit Kinofilmen auch nichts. Wer keinen großen Namen hat, der verdient mit Filmemachen weniger, als wenn er putzen gehen würde. Aber zurück zu Eurem Weiterbildungs-Programm: Ein Modul heißt „Schreiben für das Ohr“. Ist das Radio noch ein zeitgemäßes Medium, das aber vielleicht angesichts der demografischen Entwicklung wieder an Relevanz gewinnen könnte?

Alfred Behrens:
Das Radio lebt! Mit einer Vielfalt von narrativen Genres, mit dem Erzählen als Hörkunst. Wir haben das klassische Hörspiel, das tradierte Feature, den Radio-Essay, die Audio Art der Freien Szene. Wir haben die neuen Erzähl-Möglichkeiten im Visuellen Hörspiel, in der Animated Audio Art, in der Audio Slide Show, im Hörfilm. Hier haben wir glücklicherweise auch noch Sender mit offenen Ohren, Redakteure mit offenen Ohren. Und wir finden vielleicht neue Partner in den Online-Redaktionen der Qualitätszeitungen. Hoch interessant: Visual Radio! Federführend entwickelt von der BBC; von der ARD und der Mehrzahl der Förder-Einrichtungen meines Wissens überhaupt noch nicht wirklich wahrgenommen – obwohl die neue Technologie vielleicht nur noch zwei Millimeter vor der Markt-Reife steht. Es entstehen neue Wort-Bild-Relationen. Das Zusam¬menspiel zwischen Ton, Wort, Bild und Musik wird neu austariert. Leider herrschen auch dabei Unterfinanzierungs-Zwänge. Nicht zuletzt deshalb, weil wir meines Wissens in der Hauptstadt-Region nur eine Förder-Anstalt haben, die sich einen ‚Förder-Referenten Radio’ leistet. Das ist die mabb, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg.

Jens Becker:
Abschließend noch ein Hinweis auf eine weitere Aktivität, nämlich die Lehrerweiterbildung. Es heißt seit Jahren, die Schüler müssen mehr Medienkompetenz haben, aber es passiert zu wenig. Das hängt damit zusammen, dass sich in der Bildung nicht so leicht etwas bewegt. Es ist nicht einfach, den Lehrern in ihrem harten Job noch eine Weiterbildungsmaßnahme abzuverlangen. Aber wir wollen versuchen, in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern neue Wege zu gehen und die Kompetenz, die wir an der HFF haben, mit der Kompetenz in der Medienwerkstatt zu bündeln.

2015-01-23T14:54:54+02:007. Januar 2015|
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