Noch einmal davongekommen? – Die Förderqueen des Nordens auf freiem Fuß

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 230, Dezember 2012/Januar 2013

Von Ellen Wietstock

Der Verband der Drehbuchautoren (VDD) kommentiert das Urteil im Fall Doris Heinze: „Die Aufmerksamkeit, die der Prozess
und der Urteilsspruch über Doris Heinze und ihren Ehemann sowie einer Produzentin in der vergangenen Woche erregt hat, spiegelt die Relevanz, die diese Vorgänge über eine Fachöffentlichkeit hinaus haben. Die FAZ schrieb nun am 16.10.2012: „Oberstaatsanwältin Cornelia Gädigk hat Revision gegen das Urteil der Landgerichts Hamburg eingelegt. … Nun muss der BGH prüfen, ob das Urteil ordnungsgemäß zustande gekommen ist.“

Schon 2009 hat sich der VDD zu den frisch enthüllten Machenschaften von Doris Heinze geäußert und auf das dahinter liegende Strukturproblem der öffentlich-rechtlichen Sender aufmerksam gemacht: Ein stark hierarchisiertes System, zu wenig kontrolliert und von einigen wenigen Entscheidungsträgern beherrscht.

Das aktuelle Urteil kommentiert der VDD-Vorstand wie folgt:
Es ist unverständlich, wie das Gericht der Vorstellung folgen konnte, Doris Heinze hätte gar keine andere Wahl gehabt, als
selbst Drehbücher zu schreiben, schließlich ginge es um nicht weniger, als die Rettung des Fernsehens. Doch unabhängig von der Qualität der Drehbücher Heinzes hat das Gericht über Betrug an Sender und Gebührenzahler zu entscheiden. Die Richter ließen jedoch Argumente über das Niveau ihrer Schreibarbeit in ihre Urteilsfindung einfließen und ignorierten das dahinterliegende System, wodurch ein solcher Missbrauch überhaupt möglich wurde, gänzlich. Eine Redakteurin vermittelt zwischen Programm und Autoren. Die personelle Trennung garantiert eine Reibung, welche die Qualität des Produktes im Sinne des Gebührenzahlers hoch hält. Wenn Entscheider und Kreateur in einer Person vereinigt sind, fehlt ein wichtiges Rückkopplungselement.

Es ist mehr als bedenklich, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Umbau der Programmphilosophie eingeleitet wurde, der eine Verengung der möglichen Inhalte zu einem vereinheitlichten, schnell wiedererkennbaren und vor allem der Quote verpflichteten Erzählmuster zur Folge hatte und aus einem ehedem vielstimmigen, zuweilen sperrigen Chor ein nahezu unkontrolliertes Programmdiktat Einzelner entstehen konnte. Das entspricht nicht dem Grundgedanken eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Aufteilung in verschiedene Länderanstalten, die personelle Trennung von Programmstruktur, Programmentwicklung und Programmerstellung war ausdrücklich gewollt, um Vielfalt zu garantieren.

Der Fall Doris Heinze hat nun gezeigt, dass der Umbau der ARD eine auf wenige Richtung weisende Personen verdichtete
Entscheidungspyramide hervorgebracht hat, die einen solchen Machtmissbrauch erst möglich macht. Das Gericht hat mit dem Urteil eine Chance verpasst, diese Missbrauch fördernde Struktur zu benennen. Es schwächt damit die Bemühungen der Kräfte in den Sendern, die für eine Meinungsvielfalt und gegen die Machtballung bei Einzelnen ankämpfen. Wir sind froh, dass hier und da begonnen wurde, die Programm-Entscheidungen wieder auf mehrere Schultern zu verteilen und somit auch Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen. Eine grundsätzliche Veränderung der zunehmend zentralistischen Machtstrukturen innerhalb der ARD und ihrer angeschlossenen Unternehmen zugunsten der alten Vielfalt ist dringend geboten. Der Zuschauer, der Gebührenzahler hat einen Anspruch auf mutige und vielfältige Programme. Dazu braucht es viele AutorInnen. Nur möglichst viele verschiedene selbstbewusste Redakteure, denen man eine Programmkompetenz einräumt, können hervorragendes, spannendes und kontroverses Programm gestalten, wie es der Rundfunkstaatsvertrag fordert.

Und noch etwas: Trotz der Causa Heinze oder der Betrugsfälle bei KiKa und MDR lässt die Transparenz der öffentlich-rechtlichen Anstalten (ARD wie ZDF) weiterhin zu wünschen übrig. Der VDD – wie andere Verbände – fordern seit langem, dass die öffentlich-rechtlichen Sender alle erteilten Aufträge und Vertragspartner jährlich offen legen. Das Urteil und die kommende Gebührenreform wären ein guter Anlass, die Transparenz zu erhöhen. Zusammen mit einem zwingenden „Mehr-augenprinzip“ bei allen Entscheidungen wäre das der beste Schutz gegen Betrug à la Heinze.“

2015-01-16T09:00:17+02:0015. Januar 2013|

Gut beraten im Norden – die skandinavischen Fördermodelle kommen ohne Fernsehgelder aus – ein Vorbild für Deutschland?

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 230, Dezember 2012/Januar 2013

Von Max-Peter Heyne

Gut beraten im Norden
Die skandinavischen Fördermodelle kommen ohne Fernsehgelder aus – ein Vorbild für Deutschland?

Um es vorweg klarzustellen: Nicht alles, was aus Skandinavien kommt, leuchtet gülden auf der Leinwand. Aber die meisten Filme fallen zumindest unter die Kategorie „sehenswert“ und wenn sie scheitern, dann auf hohem Niveau. Die Nordischen Filmtage in Lübeck, die in 2012 schon zum 54. Mal die neuesten skandinavischen Kinoproduktionen präsentiert haben, gehören deshalb zu den interessantesten deutschen Festivals. In diesem Jahr waren zwar auch dramaturgisch unoriginelle Ehe- und Familiendramen wie Marie Krøyer (Dänemark), Blondie (Schweden), Kompanie Orheim (Norwegen) oder Filme zu sehen, die unter der Last ihrer durchstrukturierten Konzeption ächzten (Liebe auf Finnisch, eine deutsch-finnische Koproduktion sowie Unschuld und 90 Minuten aus Norwegen). Aber es gab eben auch wieder Dramen wie die beiden Gewinnerfilme Die Jagd (vom dänischen Ex-Dogma-Filmer Thomas Vinterberg) und Eat Sleep Die (von der schwedisch-österreichischen Regisseurin Gabriela Pichler), die dank starker Figuren direkt ins Herz des Zuschauers trafen. Für seine Rolle in Die Jagd hatte Mads Mikkelsen bereits in Cannes den Darstellerpreis erhalten. Im Gegensatz zu deutschen Produktionen sind skandinavische Filme regelmäßig auf großen Festivals vertreten, wo sie – nimmt man die Zahl der Einwohner dieser Länder und den jährlichen Ausstoß an Filmen als Maßstab – überproportional häufig prämiert werden (wie zuletzt in Karlsbad oder Mannheim-Heidelberg).

Die Vermutung liegt nahe, dass dies auch mit anderen Förderbedingungen durch die skandinavischen Filminstitute zu tun hat. In der Tat fördern die dortigen Filminstitute lieber weniger Filme, dafür aber umso konsequenter. Aber das hängt nicht allein mit deren ‚Größe‘ zusammen. Es stimmt zwar, dass in Dänemark, Schweden und Norwegen sowohl der niedrigere Jahresetat als auch die deutlich geringere Zahl an unterschiedlichen Förderquellen zu einer im Vergleich zur deutschen Situation zentralisierteren und strukturell konzentrierteren Förderung zwingt. Andererseits stellt das Norwegische Filminstitut jährlich immerhin rund 54 Millionen Euro für Kinofilme zur Verfügung. Und auch in Norwegen gibt es zusätzlich regionale Fonds, „gap funding“, um kurzfristige Lücken in der Finanzierung zu schließen und „soft money“ (2 Mio. € jährlich), um die Werthaltigkeit eines Film aufzupeppen. Hingegen ist der markanteste – und wohl auch die einzelnen Filme prägendste – Unterschied gegenüber dem deutschen Förderungssystem der vollständige Verzicht auf Fernsehgelder. „Wir haben vor Jahren darüber intensiv diskutiert und uns dagegen entschieden“, sagt Ivar Køhn vom Norwegischen Filminstitut mit dem Verweis auf die andere Ästhetik zwischen TV- und Kinofilmen und dem anderen Publikumsverhalten.

Dieser Umstand bedeutet für alle Beteiligten, in Kinoformaten zu denken, zu planen und auch zu drehen, meint Køhn, – und sich bewusst zu sein, sich in einem harten Vorauswahlwettbewerb um die vielversprechendsten Skripte zu befinden: 2011 hat das Gremium des Norwegischen Filminstituts von 150 Antragstellern nur zehn Projekte ausgewählt. Wichtigste Kriterien für die Beurteilung eines Stoffes sind die Qualität des Drehbuchs, der künstlerische Anspruch“ und/oder die kommerzielle Erwartung für den heimischen Markt, wofür es einen automatischen Bonus gibt. Das bedeutet, dass bei mehr als 10.000 anvisierten Tickets in norwegischen Kinos das Budget für die entsprechende Produktionsfirma verdoppelt wird, so z.B. im Falle des Actionkrimis Headhunters und des aufwendigen Abenteuerfilms Kon-Tiki, der Eröffnungsfilm in Lübeck war. Im vergangenen Jahr erhielt die Hälfte der insgesamt 32 geförderten Kinofilme den automatischen Bonus, wobei zehn der Filme ihr Box-Office-Ziel verfehlten.

Vor allem in Schweden und Norwegen wählen “Commissioners” aus den eingereichten Projekten aus – meist erfahrene Leute aus den Filmbranchen wie Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten, aber auch Cutter etc. –, die auch dafür zuständig sind, die erfolgreichen Antragsteller anschließend intensiv zu beraten. Diese Betreuer werden alle vier Jahre ausgetauscht und sollen die ausgewählten Projekte schrittweise, aber relativ rasch bis zur Produktionsreife betreuen. Oberstes Ziel ist die Vermeidung eines Stillstandes, „denn was einmal ausgewählt wurde, soll auch konsequent produziert werden“, erläutert Ivar Køhn vom norwegischen Filminstitut. Als junger und noch unerfahrener Produzent ist es daher vielversprechender, wenn man nicht als Einzelkämpfer auftritt, sondern in eine der etablierten norwegischen Produktionsfirmen eingebunden ist, betont Køhn. Die Berater, die zeitweilig beim Institut mitarbeiten, sind keine Ko-Produzenten, pflegen aber bis zum Dreh, also rund ein bis zwei Jahre lang, einen intensivem Austausch mit der jeweiligen Produktionsfirma und dem Regisseur. Neben einer schnellen Herbeiführung von Entscheidungen sollen die Berater den Beteiligten helfen, sich zukünftig in der nationalen Filmindustrie zu etablieren.

Da Norwegen kein Steuervergünstigungsprogramm für ausländische Investoren unterhält, müssen andere Anreize zum Anlocken von internationalen Koproduktionen ausreichen: An Koproduktionen beteiligte Firmen müssen das Fördergeld, das sie vom Norwegischen Filminstitut erhalten, nicht zurückzahlen, egal wie erfolgreich der Film in den Kinos später auch sein mag. Zudem muss nicht zwangsläufig im Land oder mit norwegischen Schauspielern gedreht werden; allerdings stellt Norwegen gerne erfahrenes Filmpersonal wie z.B. Trickspezialisten zur Verfügung. Weit stärker noch als Dänemark und Schweden strebt die norwegische Filmindustrie nach Koproduktionen mit deutschen Partnern, da sich die „jeweilige Mentalität und der kulturelle Hintergrund sehr ähnelt“, wie Ivar Køhn sagt, und norwegische Filme daher auf dem deutschen Kinomarkt besondere Potentiale ausschöpfen können. „Deutschland ist für uns der wichtigste europäische Markt“, so Køhn, deshalb hat die Regierung den Etat des Norwegischen Filminstituts bereits vor vier Jahren um 15 Prozent aufgestockt, damit vorzugsweise deutsch-norwegische Produktionen gefördert werden. Im nächsten Jahr wird dieser Topf noch einmal um zwei Millionen Euro aufgestockt. Außerdem erhalten vier besonders talentierte Autorenfilmer eine ‘carte blanche’, also quasi eine automatische Anschlussförderung, um gezielt ihre individuellen Projekte umsetzen zu können.

2015-01-16T09:07:21+02:0015. Januar 2013|

Condorcet und das Ringen um ein gerechtes Bewertungssystem

Filmpolitischer Informationsdienst Nr. 225, Mai 2012

Condorcet und das Ringen um ein gerechtes Bewertungssystem
Ein Gespräch mit Alfred Holighaus, dem Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie.

Ellen Wietstock:
Der Deutsche Filmpreis 2012 ist vergeben, es herrscht Freude bei den Siegern und Enttäuschung bei den Verlierern. Wie hoch war die Wahlbeteiligung in diesem Jahr?

Alfred Holighaus:
Die Wahlbeteiligung lag bei deutlich über 50%. Gut die Hälfte der Akademiemitglieder stimmt ab. Das hängt mit zwei Faktoren zusammen. Einige Leute stimmen nicht ab, weil ihnen die Zeit fehlte, die eingereichten Filme komplett zu sichten. Es gibt auch Mitglieder, die in bestimmen Kategorien nicht abstimmen, weil sie die Leistungen in einzelnen Gewerken nicht bewerten wollen und können. Um ehrlich zu sein: Mir würde eine 80%-ige Quote Angst machen. Für mich ist es ein Indiz für eine gewisse Aufrichtigkeit im Umgang mit der Verantwortung.

Ellen Wietstock:
Im vergangenen Jahr erhielt der Film Der ganz große Traum, produziert von deutschfilm und Senator Film, mit 23 Stimmen eine Nominierungsprämie in Höhe von 250.000 €. Wie ist diese Entscheidung zustande gekommen?

Alfred Holighaus:
Die absolute Zahl kann ich nicht bestätigen, da wir sie nicht kennen. Wir hatten ein Wahlverfahren entwickelt, dwas eine sehr differenzierte Beurteilung der einzelnen Filme und Gewerke mit Hilfe einer Bewertungsskala ermöglichte. Dieses Verfahren führte dazu, dass Durchschnittswerte mehr zählten als die Anzahl der Stimmen. Es gab zwar ein Quorum, also eine Mindestanzahl von Stimmen, damit die Bewertung berücksichtigt werden konnte. Aber es ging primär nicht um die Stimmenanzahl, sondern um die Höhe der Bewertung.

Ellen Wietstock:
Ich finde dieses Bewertungsverfahren hoch kompliziert und schwer durchschaubar.

Alfred Holighaus:
Wir haben daraus Konsequenzen gezogen. Das Wahlverfahren im vergangenen Jahr verleitete dazu, – das haben wir unterschätzt – strategisch zu stimmen. Und wenn man strategisch stimmt, dann bei einer Wild Card. Nach den Erfahrungen haben wir einen renommierten Wahlforscher von der Uni¬versität in Ludwigshafen gebeten, unser Abstimmungsverfahren zu analysieren und festzustellen, welches Wahlsystem für unsere Belange das gerechteste ist. Er empfahl uns die seit dreihundert Jahren existierende Condorcet-Methode. Dieses Wahlverfahren wurde von dem französischen Philosoph Condorcet entwickelt, einem Zeitgenossen Voltaires. Es basiert auf der Idee, dass nur die Filme und die Einzelleistung die besten sein können, die im Paarvergleich mit allen anderen am Ende die meisten Stimmen haben. Dafür gibt es ein ganz einfaches Abstimmungssystem: Man nimmt alle Kandidaten, also die sechs nominierten Filme in der Kategorie bester Spielfilm, die drei nominierten Schauspieler, Regisseure usf., die von den Wählern in eine Reihenfolge gebracht werden. Dadurch kann man jeden mit jedem vergleichen und hat am Ende einen gerechten Sieger. Auch bei diesem System gab es bekanntlich einen Wild-Card-Sieger.

Ellen Wietstock:
Warum werden die Stimmenauszählungen für die einzelnen Gewinner nicht bekannt gegeben?

Alfred Holighaus:
Die DFA hat sich bei ihrer Gründung darauf festgelegt, die Anonymität zu wahren und niemanden zu beschädigen. Es gab auch noch nicht den Ruf danach. Wenn es ihn gibt, müssen wir uns damit auseinandersetzen.

Ellen Wietstock:
Die Frage ist doch, wie repräsentativ die Entscheidungen sind, wenn beispielsweise der beste Film 75 Stimmen hat und der zweite 50?

Alfred Holighaus:
Nein, die Stimmenanzahl in den Kategorien, in der es um hohe Preisgelder geht, bewegt sich schon im dreistelligen Bereich. Bei dem Nomierungsverfahren läuft es anders als in der Endabstimmung. Die Nominierungen werden bekanntlich von den einzelnen Gewerken festgelegt. In der Sektion Kamera/Bildgestaltung sind gut 70 Mitglieder, infolgedessen liegt die Anzahl der Stimmen für eine Nominierung tatsächlich im zweistelligen Bereich. Die Sektionen Produktion/Regie/Schauspieler sind zahlenmäßig anders bestückt. Über 700 Mitglieder haben in diesem Jahr abgestimmt, da kann jemand nicht mit 70 Stimmen die Lola gewonnen haben.

Ellen Wietstock:
Das jetzige Auswahlverfahren zum Deutschen Filmpreis wird als demokratisches Verfahren gepriesen. Demokratie hat mit Kunst nichts zu tun. Demokratie ist ein Verfahren, bei dem nicht immer das „Richtige“ herauskommt, wie wir aus der Geschichte wissen. In der Filmakademie herrscht große Unzufriedenheit, weil es zu viele Nachrücker gab. Wird auch über andere Auswahlverfahren nachgedacht, zum Beispiel über eine kleine, jährlich wechselnde Jury aus Mitgliedern, zusammengesetzt mit Hilfe eines Losverfahrens? Weg von dem hoch komplizierten Bewertungs¬system, dem kostenaufwendigen DVD-Versand, der notariellen Auswertung?

Alfred Holighaus:
Unzufrieden über die Nachrücker sind diejenigen, die mit der Vorauswahl einverstanden waren. Dann gibt es die Mitglieder, die mit der Vorauswahl unzufrieden sind, die plädieren für die Nach¬rücker. Es gibt ja eine Vorauswahlkommission, die aus dem Kreis der Mitglieder von den Mitgliedern gewählt wird. Diese Kommission ist weitgehend unabhängig, das heißt, wenn jemand etwas mit den Filmen zu tun hat, die im Rennen sind, kann derjenige nicht in der Jury sein. Es handelt sich aber durchaus um aktive Mitglieder. Ich betone das deshalb, weil auch das Gerücht umgeht, die Juroren seien meistens arbeitslos oder schon lange nicht mehr im Geschäft. Mit dieser Vorauswahlkommission sind aber auch viele Mitglieder unzufrieden. Die Argumente lauten, die Vorauswahl sei geschmäcklerisch, bevormundend, andere sagen, es sei eine große Hilfe, um überhaupt die Flut der Filme zu bewältigen. Es blieben immer noch 43 Filme in der berühmten Kiste, die zu sichten waren.

Grundsätzlich werden wir immer das Problem der Begehrlichkeiten haben, weil es um Geld geht. Ich glaube übrigens nicht an unabhängige Jurys, vielleicht ist mal der eine oder die andere monetär unabhängig, aber kein Mensch weiß, wie früher die Filmpreise vergeben worden sind. Es gibt kein für alle zufrieden stellendes System. Aber diskutiert wird erst so viel darüber, seit das System so transparent und demokratisch ist. Der Satz, Kunst ist nicht demokratisch, ist völlig richtig. Diese Erkenntnis muss meiner Meinung nach aber nicht bedeuten, dass ein Preis für Kunst nicht auch demokratisch entschieden werden kann.

Ellen Wietstock:
Transparent ist das Verfahren nicht.

Alfred Holighaus:
Ich finde es extrem offen. Es ist bekannt, welche Filme eingereicht werden, welche Leute in den Kommissionen sitzen, man weiß, wer abstimmungsberechtigt ist. Die Filmakademie zeigt während der Berlinale alle vorausgewählten Filme. Es gibt im Vorfeld der Verleihung Fachgespräche mit den nominierten Regisseuren, Produzenten, Cuttern, Tonmeistern, Musikern, die zusätzlich noch für eine inhaltliche Transparenz sorgen.

Ellen Wietstock:
Die Crux des Deutschen Filmpreises liegt meiner Meinung nach in der Janusköpfigkeit des Preises. Einerseits sollen künstlerische Leistungen ausgezeichnet werden, andererseits geht der größte Teil der Preisgelder an die Produzenten der Filme. Deswegen schwelt die immergrüne Debatte um E und U, um Arthouse- und Unterhaltungskino. Die Hersteller des Mainstream-Kinos melden Ansprüche am Filmpreis an, obwohl ihre – unbestreitbaren – Leistungen mit den Referenzfilmmitteln der FFA belohnt werden. Betrachtet man den Literaturbetrieb, dann wird sofort klar: Die Autoren der Wanderhure oder Charlotte Link sind nicht enttäuscht, wenn sie nicht den Deutschen Buchpreis oder den Kleist-Preis erhalten. Dan Brown oder Stephen King sind sicher nicht beleidigt, weil sie nicht zum Kreis der potentiellen Literatur-Nobelpreisträger gehören. In Stockholm gibt es auch eine Bandbreite – von Heinrich Böll und Günter Grass bis zum Lyriker, der selbst den Literaturkritikern der großen Zeitungen unbekannt war. Warum leuchtet das einigen Filmschaffenden nicht ein?

Alfred Holighaus:
Die Idee der Filmakademie-Gründer war, alle im Filmgeschäft tätigen Kreativen zusammenbringen, unabhängig davon, welche Art von Filmen sie herstellen. Das ist auch geglückt, wenn man erlebt, wie Filmschaffende miteinander reden und sich austauschen, egal, welche Genres sie bedienen und für welchen Markt sie arbeiten. Deshalb sollte nach dem Willen der Gründer der Filmpreis auch die gesamte Breite des Filmschaffens repräsentieren, eben auch das Unterhaltungskino. Nach meinen Erfahrungen geht es den Regisseuren, die die Besuchermillionäre im deutschen Kino herstellen, nicht darum, dass sie als Regisseur den Filmpreis bekommen, sondern sie wollen einzelne Leistungen ihres Teams gewürdigt wissen. Diese Leute kommen aber in dem gegenwärtigen Modell selten vor, weil die entsprechenden Filme nicht vorausgewählt werden. Das ist viel eher der Grund für die Wild Card. Die Diskussion geht nicht darum, dass der an der Kinokasse erfolgreichste Film auch den ersten Preis bekommen muss. Wir gestalten die Preisverleihung möglichst opulent, mit Fernsehübertragung, um zu zeigen, was das Kino bietet. Das tun wir aber dann nicht, wenn bestimmte populäre Titel fehlen und den Fernsehzuschauern einige Filme völlig unbekannt sind. Was die Moderation betrifft, so ist unser diesjähriger Versuch, die schwierigen Filme mit lustigen Beiträgen anzukündigen, nicht wirklich gelungen.

In Bezug auf die Empfänger der Preisgelder bin ich der Meinung, dass der Filmpreis ein Teil der staatlichen Filmförderung ist und somit an den Produzenten zur Herstellung eines neuen Films gehen sollte. Die Dotierung der Einzelpreise ist ja nicht zweckgebunden; es handelt sich eher um symbolische Preise, obwohl sich sicher jeder Filmkünstler über 10.000 € freut.

Ellen Wietstock:
Jedes Jahr starten im Frühjahr wegen der Modalitäten des Filmpreises zu viele deutsche Filme. Gibt es in der DFA Überlegungen, die Filmpreisverleihung wieder in den Sommer zu verlegen, um den einzelnen Filmen bessere Auswertungschancen zu geben?

Alfred Holighaus:
Wir haben uns gerade mit Vertretern der Branche – Verleiher, Kinobetreiber, Produzenten – getroffen, um dieses Problem zu besprechen. Eine Lösung haben wir noch nicht gefunden. Aber wir haben festgestellt, dass es mit einer Verschiebung nicht getan ist, weil es offenbar den monokausalen Zusammenhang zwischen dem Filmpreis und den vielen Filmstarts gar nicht gibt.

2015-01-12T11:11:15+02:009. Mai 2012|

„Urheber halten den Produktionskreislauf in Gang“

Ein Gespräch mit Thomas Bauermeister, Drehbuchautor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbands Deutscher Drehbuchautoren (VDD) und Betreuer der Drehbuchausbildung an der Internationalen Filmschule in Köln.

Ellen Wietstock: Dem VDD gehören über 400 professionelle Drehbuchautoren an, von denen nur ganz wenige Kinofilme schreiben. Wie erklären Sie sich das?

Thomas Bauermeister: Kinofilme schreiben lohnt sich nicht, das Risiko ist zu groß, das Honorar zu gering. In Frankreich wird bedeutend mehr bezahlt, selbst in Spanien verdienen Kinoautoren das Dreifache. Die FFA hat vor einiger Zeit die Honorare der Dreh-buchautoren von 1994 bis 2000 erfaßt: Danach bewegen sich die Durchschnittshonorare für verfilmte Kinodrehbücher in diesen Jahren zwischen 50.000 und 75.000 Euro, wenn man die jeweiligen Höchst- und Niedrigsthonorare als „Ausreißer“ wegnimmt. Was diese Statistik nicht erfaßt, sind die Entwicklungszeiträume. Das Hochrisikoprodukt Kinofilm erfordert eine wesent- lich längere und intensivere Stoffentwicklung als ein Fernsehfilm. Hier muß man auf jeden Fall mit einem Minimum von zwei bis drei Jahren rechnen. Machen Sie ein solches Honorar, von dem nach Abzug der Steuern und Sozial- versicherung vielleicht noch die Hälfte bleibt, mal jemandem klar, der eine Familie zu ernähren hat! Wohlgemerkt, die FFA-Statistik erfaßt nur realisierte Filme. Diese ohnehin viel zu knappen Honorare fließen ja nicht, wenn das Projekt erst gar nicht diese Phase erreicht – was bekanntlich für die Mehrzahl der Kinostoffe gilt. Auf deutsch, man muß als Autor entweder ein Trottel oder ein Abenteurer oder wohlhabend sein, um fürs Kino zu arbeiten. Auf dieser Grundlage läßt sich unmöglich ein solides deutsches Kino hervorbringen, das wiederum erst die Basis für herausragende künstlerische Erfolge wäre.

Die „Ausreißer“ nach oben in der FFA-Statistik sind übrigens vielsagend: Einmal war es 1996 und dann wieder 1999, als für ein Buch plötzlich auch ein Honorar von sage und schreibe 1,2 bzw. 1,8 Millionen DM gezahlt wurde. Wie das kommt? Da wurden zwei internationale Großproduktionen in Deutschland gedreht, beide mit französischer Beteiligung. International hat man also voll- kommen andere Maßstäbe, zu welcher Buchinvestition man bereit sein muß, wenn man auf lange Sicht richtiges Kino will. Unsere deutsche Realität sieht anders aus: Der Autor von Good Bye Lenin, Bernd Lichtenberg, hat 1992 mit der Arbeit an seinem Stoff begonnen. 2002 war er einer der Glücklichen, deren Buch in die Produktion ging – zehn Jahre später! Wenn sein Honorar über dem genannten Durchschnitt lag, kann er von Glück reden. Aber die Frage ist doch, inwieweit profitiert er von den sechs Millionen Kinobesuchern, für die er mit seiner Arbeit das Fundament legte?

Ellen Wietstock: Kommt in solchen Fällen nicht der ‚Bestseller-Paragraph‘ im Urheberrechtsgesetz zum Tragen?

Thomas Bauermeister: Die Bestseller-Regelung war ja schon Bestandteil des alten Urheberrechts, hat aber im Konfliktfall nie gegriffen. In keiner einzigen gerichtlichen Auseinander setzung hat der Autor gewonnen, auch weil es für das Gericht außerordentlich schwierig ist, Einblicke in die Abrechnungen der Produktionsfirma zu erhalten. Die Amerikaner nennen das bekanntlich creative accounting, Forrest Gump ist ein berühmtes Beispiel – weltweit ein Erfolg, aber beim Autor kommt nichts an. Das Gericht sagt den Autoren stets, tja, da müßt ihr eben im Vorfeld bessere Verträge aushandeln. Ray Müller wollte an dem Erfolg seiner mehrteiligen Riefenstahl-Dokumentation in den USA und an der zum Produktionszeitraum noch unbekannten Auswertungsart DVD beteiligt werden. Abgelehnt. Der Drehbuchautor Wolfgang Kirchner hat versucht, für sein Drehbuch zum Spin- nennetz einen Nachschlag für sein Honorar, das weit unter dem Durchschnitt lag, einzuklagen. Der Film, ein TV-Zweiteiler, hat zahlreiche Preise gewonnen, ist in großer Kinofassung in die Lichtspielhäuser gegangen, fünfmal vom ZDF ausgestrahlt worden. Ohne jedes Wiederholungshonorar.

Autoren spielen bei der Entstehung eines Films die wichtigste Rolle – und wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um zu verhindern, daß sie es her- ausfinden.“ Das sagte Irving Thalberg von MGM. Leider wird seine Mahnung bis heute befolgt, bewußt oder aus Unkenntnis. Ein aktuelles Beispiel: Der Vorschlag soll vom Tisch gefegt werden, Autoren für die Erfolge ihrer Kinofilme wenigstens über einen schmalen Zugang zu den Referenzmitteln zu belohnen – dafür daß sie dieses persönliche Risiko eingegangen sind, ohne das es den Film nicht gäbe. Dabei ist doch unbestritten, daß die Qualitäts- und Quotensteigerung des deutschen Fernsehens zum Beispiel mit guten Drehbüchern zusammenhängt. Die Filme von Claudia Prietzel oder Alexander Adolph sind ein Beispiel dafür, daß Fernsehstoffe gleichzeitig anspruchsvoll und populär sein können. Ein ambitionierter Autor muß seine Figuren für das Fernsehen ebenso liebevoll und mit der gleichen Genauigkeit entwickeln wie für einen Kinofilm. Wenn das neue FFG eine Beteiligung der Autoren an den Referenzfilmmitteln zuließe, könnte man auch mehr dieser hervorragenden Fernsehautoren für das Kino gewinnen.

Ellen Wietstock: Der VDD hat das umstrittene Drama Department beim BKM initiiert. Besetzt wurde diese Autorenberatungsstelle mit der ehemaligen Fernsehredakteurin Susan Schulte. Warum haben Sie keinen Kinofilmdramaturgen favorisiert?

Thomas Bauermeister: Ich halte das Drama Department für ein ausgezeichnetes Modell. Es dient der Strukturbildung auf dem schwierigen und sensiblen Weg vom geförderten Exposé zum fertigen Drehbuch. Es geht hier um die Verantwortung für die Verwendung öffentlicher Mittel. Jetzt ist – im Gegensatz zu früher – eine unter- stützende und flexible Anbindung an die Förderung gewährleistet, die den Eigenheiten und spezifischen Notwendigkeiten jedes einzelnen Projekts gerecht werden kann. Vor allem wird der Förderer damit besser eingebunden in seine Verantwortung für das Projekt, d. h. für die Branche da zu sein, und nicht umgekehrt. Das Drehbuchgremium der FFA lädt seit einigen Jahren die geför- derten Autoren mit ihren Produzenten ein, um Feedbacks einzuholen, und macht mit dieser Übung in Transparenz sehr gute Erfahrungen. Fördern bedeutet, Risiken eingehen. Das verpflichtet aber erst recht dazu, immer wieder den eigenen Erwartungen und Kriterien auf den Grund zu gehen. Der einzige Weg dazu ist die Selbsteinbindung des Förderers in die Praxis – statt über angeblich ent-täuschende Förderergebnisse zu jammern.

Wie effektiv das Konzept eines Drama Department ist, hängt aber im wesentlichen von der personellen Besetzung ab. Die falsche Person kann hier genau das Gegenteil dessen bewirken, was eigentlich intendiert ist. Bei seiner Suche hat das BKM genau darauf geachtet, wo die größte Unabhängigkeit gewahrt ist und wer gleichzeitig die größte Sachkompetenz und Reputation mitbringt. Gesucht wurde eine praxisbezogene Persönlichkeit aus der Branche. Man hat in Deutschland niemanden gefunden, der die Erfahrung, Sensibilität und Unabhängigkeit einer Susan Schulte vorweisen kann.

Ellen Wietstock: Einspruch! Man kann doch bei einer über 30jährigen Tätigkeit für einen Fernsehsender nicht von Unabhängigkeit sprechen.

Thomas Bauermeister: Durchaus. Sehen Sie sich an, welche Regisseure – auch Kinofilmregisseure – Frau Schulte in ihrer Funktion als Fernsehredakteurin gefördert und welcher

Anspruch damit verbunden war. Von ihr kam der Vorschlag, künftig selber initiativ zu werden und Autoren und Regisseure, die sonst für das Fernsehen gearbeitet haben, zu ermuntern, Kinodrehbücher zu schreiben. Man kann nicht pauschal auf das Fernsehen schimpfen, man muß sich die einzelnen Personen schon genauer ansehen. Und auch da gilt: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Ellen Wietstock: Inwiefern nützt den Drehbuchautoren eine solche Einrichtung wie das Drama Department?

Thomas Bauermeister: Autoren sind auf sich allein gestellt, das gehört zum Beruf. Durch die BKM- Autorenberatungsstelle erhalten sie aber in der Stoffentwicklungsphase eine professionelle Begleitung, ein Scharnier zum Förderer, eine Fürsprecherin. Susan Schulte soll nicht eingreifen, sondern den Autoren zur Seite stehen, wenn es darum geht zu entscheiden, wie die spezifische Stoffentwicklung wei- ter voran gebracht und was von Förderseite dazu noch getan werden kann und in welchem Marktsegment sich die optimalen Realisierungschancen für den jeweiligen Stoff ergeben.

Ellen Wietstock: Stoffentwicklung mit Autoren sowie die Plazierung des Projekts auf dem Markt ist meiner Ansicht nach eine klassische Produzententätigkeit. Das EAVE-Training des Media-Programms bietet seit Jahren diese Fortbildung an; mit dessen Hilfe konnten sich namhafte unabhängige Produktionsfirmen etablieren.

Thomas Bauermeister: Das schließt sich nicht aus. Mit dem Drama Department wird ja ganz beson- ders den engagierten Produzenten geholfen, denen also, die das deutsche Kino voran bringen wollen. Man muß realistisch sehen: Es gibt in Deutschland kei- nen Produzenten, der sich wirklich eine fundierte Stoffentwicklung leisten kann, das bestätigen selbst die Fernsehproduzenten. Es ist ja seit Jahren ihr Hauptargument, wenn sie nach Unterstützung rufen. Noch nicht einmal die gro- ßen Produktionsfirmen verfügen über Entwicklungsabteilungen. Das Erste, woran angesichts der Unterkapitalisierung der Produzenten gespart wird, ist die frühe und riskanteste Phase: die Stoffentwicklung. Der unabhängige Berliner Produzent Florian Koerner beispielsweise, der mit Christian Petzold Die innere Sicherheit gemacht hat, begrüßt die autorenbezogene Förderung der FFA ausdrücklich, weil sie ihn entlastet; er kann den Autor in der Anfangs- phase autonom arbeiten lassen. Eine Stoffentwicklung sieht eben anders aus, wenn sich von Anfang an zwei souveräne Partner gegenüber stehen. Auch das kann man übrigens vom Fernsehen lernen: welches Verhältnis zwischen ange- sehenen Autoren und ihren Produzenten herrscht, immer noch. Das Drama Department will kein Ersatz, sondern Unterstützung für die Produzentenfunk- tion bei der Entwicklung sein, um die Lücke zwischen Förderentscheid und Realisierung des Stoffes wenigstens ein Stück weit schließen zu helfen.

Ellen Wietstock: Was halten Sie von der „Beschulung“ der Autoren, von Autorenschulen und Drehbuchseminaren? Tragen diese Aktivitäten wirklich dazu bei, daß bessere Kinofilmdrehbücher entstehen?

Thomas Bauermeister: Wer sich früher etwas von der Seele schreiben wollte, verfaßte Gedichte. Heute wollen die Leute etwas „mit Film machen“ und glauben, Drehbuchschreiben sei der kostengünstigste und einfachste Einstieg, weil das, was man täglich im Fernsehen sieht, den Eindruck entstehen läßt, das könne man selbst auch. Daß ein Drehbuch viel komplexer und weitaus schwieriger zu schreiben ist als beispielsweise ein Roman, sieht man den Filmen, die dem Zuschauer allabendlich vorgesetzt werden, nicht an. Soll man auch nicht, aber viele Leute denken eben, Drehbuchschreiben könnte man beim Bügeln oder Taxifahren so nebenbei bewältigen, von den Risiken ganz zu schweigen.

Ellen Wietstock: Diese Illusion wird natürlich immer wieder durch solche Geschichten genährt wie Knockin‘ on Heavens Door: Taxifahrer trifft auf Til Schweiger als Fahrgast und erzählt ihm von seiner Drehbuchidee.

Thomas Bauermeister: Ja, aber das sind die absoluten Ausnahmen, wie sich spätestens beim zweiten Versuch herausstellt. Der Markt kann die große Anzahl an Nachwuchsautoren nicht aufnehmen. Das ist nicht nur im Moment so, das wird immer so sein; solange Menschen sich berufen fühlen, sich in diesem Medium zu verwirk- lichen. Was eher auffällt, ist ein gewisses Mißverhältnis zwischen den Kreati- ven und den Produzenten, die sich über Wasser halten können, und denen, die sich als Consulter, Script Doctoren oder Trainer betätigen. Die Anzahl derer, die auf dem Drehbuchmarkt Geld verdienen wollen, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Das ist gut so. Aber Agenturen, die Dienstleistungen auf dem Gebiet Drehbuch anbieten, haben es nicht nur wegen der aktuellen Krise, son- dern prinzipiell schwer zu überleben, da sie keine eigenen Werte schaffen. Das spricht nicht gegen eine gute Ausbildung, sondern im Gegenteil stark dafür, von der Weiterbildung gar nicht zu reden. Je weniger sich die Branche trägt, desto dringender werden Leute gebraucht, die etwas auszudrücken haben und wissen, wie sie das tun, um ihr Publikum zu erreichen und zu bewegen.

Ellen Wietstock: Welche Veränderungswünsche haben die Drehbuchautoren an die Novellierung des FFG?

Thomas Bauermeister: Die Kreativen müssen endlich in den maßgeblichen Gremien der FFA vertreten sein: Verwaltungsrat und Vergabekommission. Es kann nicht angehen, daß diejenigen, die den deutschen Film erfinden sollen, dort mit nicht einmal einem festen Sitz vertreten sind. In der Vergabekommission soll das Verhältnis von Produzierenden und Verwertern tatsächlich 1:6 betragen. Das kann doch nicht angehen bei der zentralen Instanz, die immerhin über die Leistungsfähigkeit des deutschen Films entscheidet! Und die Absicht, Regisseure und Autoren dann im Gerangel mit Ministerialen über einen einjährigen Gaststatus Lose ziehen zu lassen, kann man dann nur noch als Ohrfeige verstehen.

In der Begründung zum FFG steht viel über die Bedeutung des kulturellen Faktors – „Film als Kulturwirtschaftsgut“ -, de facto wird diese Erkenntnis aber aus dem Maßnahmenkatalog ganz offen zugunsten der sogenannten „Wirt- schaftlichkeit“ ausgegrenzt, indem der Irrglaube fortgeschrieben wird, die sogenannten „Zahlergruppen“ seien ebensolche und müßten deshalb auch das Sagen haben.

Es soll ja gar nicht die alte Nummer „Kultur gegen Wirtschaft“ gespielt wer- den. Im Gegenteil, es geht darum, Kreativität endlich als Wirtschaftsfaktor zu begreifen. Caroline Link, Ruth Toma, Fatih Akin und Wolfgang Becker haben das doch in letzter Zeit vielfach bewiesen. Deshalb ist es ein Irrweg, das Krea- tive, immer wenn es förderpolitisch ernst wird, in den kulturellen Sandkasten zu verbannen und vielleicht noch in Sonntagsreden zu beschwören. Denn so definiert sich nun mal Film: daß sich Schöpferisches und Wirtschaftliches gegenseitig bedingen. Das begreift jeder – spätestens wenn er sieben Euro an der Kinokasse bezahlt und dafür etwas erwartet. Daß aber eine rot-grüne Regierung, die immerhin eine Staatsministerstelle für diese Belange geschaf- fen hat, dafür kein Ohr hat und stattdessen wieder nur auf die Drohgebärden und Einflüsterungen der Verwerter-Lobbyisten hört, läßt einen schon von einem kulturpolitischen Skandal sprechen, der in dieser FFG-Novelle steckt.

Es bleibt dabei: Wir fordern die Berechtigung für die Autoren, über die Refe- renzfilmförderung an ihren Erfolgen teilzuhaben. Bei ihnen liegt die Genese, und es gibt keinen vernünftigen Grund, sie plötzlich dann auszuschließen, wenn tatsächlich Geld fließt. Wir fordern ja keine Unsummen; es geht lediglich darum, den Autor in die Lage zu versetzen, mit einem neuen Treatment zu beginnen. In der Urheberrechtsdebatte war die angemessene Beteiligung an Erlösen nie umstritten. Das kann im FFG auf zweierlei Weise geschehen: Erstens durch eine automatische Partizipation der Autoren und Regisseure an der Referenzproduktionsförderung bzw. durch ein Mitspracherecht über die Verwendung der Mittel. Wenn es dann zu keiner erneuten Zusammenarbeit kommt, wird der Urheber ausgezahlt. Die andere Möglichkeit besteht in einem allgemeinen Referenzfilmmitteltopf, aus dem die Ansprüche der Drehbuchauto-ren und Regisseure direkt beglichen werden.

Die Urheber halten mit ihren Projekten den Produktionskreislauf in Gang, das ist die einfache wirtschaftliche Begründung. Wenn sich die Politik dazu nicht herablassen kann, dann wird dies, das wissen die Produzenten, bei den begin- nenden Verhandlungen zu Gemeinsamen Vergütungsregeln Thema sein.

Dritter Änderungswunsch ist die Aufhebung der Referenzschwelle. In anderen, funktionierenden Filmländern gibt es sie auch nicht – sie ist auch nicht einzusehen. Schon gar nicht, daß sie jetzt auch noch zu Lasten der kleinen engagierte Filme heraufgesetzt werden soll.

Abschließend noch ein Wort zur Deutschen Filmakademie: Das Stochern im Nebel hat leider die viel wichtigere Debatte um das FFG in den Hintergrund gedrängt. Zu begrüßen an der Filmakademie ist zunächst, daß hier plötzlich niemand Kreativität und Wirtschaftlichkeit auseinanderdividiert. Die Filmakademie als Spiegel aller, die zur Herstellung des deutschen Films beitragen, ist eine schöne und richtige Idee. Zu hoffen ist, daß sie ihre Schönheit nicht durch die Beschränkung auf die Verteilung öffentlicher Mittel in Form von Preisgeldern und auf Selbstdarstellung gleich wieder einbüßt. Die Aktivitäten, in denen das Selbstverständnis einer solchen Einrichtung wirksam wird, könnten sich vor allem auf den besseren Austausch untereinander, auf die Weiterbildung und die Entwicklung filmpolitischer Visionen aus der Praxis heraus beziehen.

black box 155, 2003

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2014-11-21T12:46:56+02:0020. November 2003|

Das Drama-Department als Geschmackspolizei?

Ein gutes Drehbuch ist die Grundlage für einen gelungenen Film. Das Handwerk des Drehbuchschreibens ist erlernbar, die Kunst des Drehbuchlesens auch, und schon bewegen sich mehr Berater, Sriptdoktoren, Dramaturgen und Consulter in der Filmszene als schrei- bende Autoren. Laufauf, landab sind Experten und solche, die sich dafür halten, unterwegs, um künftigen Autoren zu zeigen, wie es geht. Ob durch diese permanente Beschulung und hochbezahlte Hilfeleistung die Drehbücher auch tatsächlich besser werden, darüber schweigt man sich aus.

Fest steht: Regisseure, Produzenten und Redakteure suchen hängeringend nach guten Stoffen. Aber was ist ein guter Stoff? Vielleicht der, für den sich schon ein Produzent interessiert? In den US-amerikanischen Studios wird bekanntlich von zehn entwickelten Drehbücher lediglich eines verfilmt. Hierzulande tut man sich schwer mit einer Output-Quote von zehn Prozent.

Nun will auch die Staatsministerin Christina Weiß ihren Beitrag zur Verbesserung der Drehbuchsituation leisten. Durch eine effektivere Betreuung der Autoren, heißt es im Hause des BKM, und eine Begleitung der Stoffe bis zur Marktreife sollen mehr qualitativ hochwer- tige Drehbücher mit einer höheren Verfilmungsquote entstehen. Deshalb wurden soeben ein- erseits die Richtlinien der BKM-Drehbuchförderung liberalisiert: Ab sofort sind Autoren wie- der ohne Produzentenbindung antragsberechtigt. Andererseits bedeutet die Einrichtung einer Autorenberatungsstelle eine strenge Reglementierung, denn künftig erhält nur derje- nige eine Drehbuchförderung, der im Zuge der Projektrealisierung mit dem vom BKM beauf- tragten Drama Department zusammen arbeitet. Schon vor Jahren bot die kulturelle Filmförderung des Bundes dramaturgische Beratung an für den, der wollte. Schlechte Karten haben künftig talentierte Drehbuchautoren und Produzenten mit eigener Drehbuchentwicklungsstruktur. In diesen Kreisen ist bereits von der „Geschmackspolizei“ die Rede.

Die Autorenberatungsstelle trifft auch gleichzeitig die Vorauswahl der zur Drehbuchförderung eingereichten Anträge, danach gehen diese zur endgültigen Entscheidung in die Kommission. Head des Drama Departments ist die ehemalige Fernsehspielchefin des SWR, Susan Schulte, die vor zwei Jahren nach 33-jähriger Senderzugehörigkeit in den Ruhestand ging. Susan Schulte ist vielen Regisseuren sicher in bester Erinnerung. Sie entwickelte 1985 die für den Nachwuchs wichtige Reihe ‚Debüt im Dritten‘, in der Filme entstanden wie Nach fünf im Urwald von Hans-Christian Schmid, Der Polenweiher von Nico Hofmann, Sönke Wortmann erster Film Drei D, Das erste Mal von Connie Walther, Der Strand von Trouville von Michael Hofmann und Veit Helmers Tuvalu. Susan Schulte arbeitete mit Nina Grosse, Romuald Karmakar, Miguel Alexandre, Dominik und Benjamin Reding.

Und dennoch: Die kulturelle Filmförderung des Bundes gehört neben der FFA und dem Kuratorium zu den standort- und senderunabhängigen Förderungen für Kinofilme in Deutschland. Sie ist ihrem eigenen Selbstverständnis nach „auf den Film als Kunst, als bedeutsames, innovatives und kommunikatives Kino-Ereignis“ gerichtet. Mögen einzelne Fernsehredakteure auch erfahren, offen und integer sein: Tatsache ist, daß sukzessiv die Schaltstellen der Filmförderung mit Fernsehleuten besetzt werden. Während auf personeller Ebene das Fernsehen immer mehr Macht gewinnt, indem das Kino ohne Not Stück für Stück seines Terrains abgibt, stehen sich Filmwirtschaft und Sendeanstalten auf filmpolitischer Ebene als erbitterte Gegner gegenüber. Die in der SPIO organisierten Produzenten- und Verleiherverbände fordern im Einvernehmen mit dem BKM 40 Millionen Euro jährlich von den öffentlich-rechtlichen Sendern zur Sicherstellung der Filmförderung. Für den Fall, daß sich die Fernsehsender mit diesem Beitrag nicht einverstanden erklären, erwartet die Filmwirtschaft eine gesetzliche Abgabenregelung. Dann wäre auch hier Schluß mit der F reiwilligkeit.

black box 151, 2003

2014-11-21T12:14:44+02:0020. November 2003|
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